Erntedank
würde man erst in vielen Jahren hören. Zu nahe waren noch die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, zu groß die existentiellen Sorgen. Aber es gab auch Menschen, denen es an nichts mangelte. Die Patrizier in Memmingen etwa, und der so genannte Landadel. Dazu zählten auch die von Balzheims, die sich sogar als Kreditgeber an die Stadt Memmingen hervortaten. Nun, es gab sicher Schlimmere als die von Balzheims, doch viele hatten trotzdem unter ihnen zu leiden, und das war ihm hier zu verdanken.«
Mit einem Lächeln, fast liebevoll, tätschelte der Mönch den Kopf der Figur.
»Unser Freund hier war ein Scherge dieses Fürstenhauses, der Arbeiten verrichtete, mit denen sich sonst niemand die Hände schmutzig machen wollte. Sie wissen schon: säumige Zahler zur Räson bringen und dergleichen. Aber er gehörte einer besonderen Spezies an: Es machte ihm Spaß. Er ging in seiner Arbeit auf, machte sie mit Hingabe – was sich in einer Brutalität ausdrückte, die bisweilen in Blutrünstigkeit abglitt. Die Menschen hassten ihn, aber mehr noch als sie ihn hassten, fürchteten sie ihn. Deswegen blieb ihnen nicht viel mehr, als ihm den Teufel an den Hals zu wünschen, was sie auch taten. Gott weiß, wie oft dieser eine Mann verflucht worden ist. Doch das war ihm egal, im Gegenteil, es schien ihn geradezu anzustacheln. Er verhöhnte die Bauern und die Zeichen ihres Glaubens waren das Erste, was er ihnen pfändete. Aber de mortuis nil nisi bene, nicht wahr?
Nun ja, trotzdem ging es ihm nicht gerade gut, denn er hatte eine Reihe Kinder, die alle starben. Das Seltsame daran: Sie starben alle im Alter von sieben Jahren. Vier Kinder hatte er so schon verloren, und nachts, wenn die Menschen unter sich waren, in ihren ärmlichen Stuben, dann freuten sie sich darüber. Sie schoben das auf ihre Flüche und sahen eine göttliche Gerechtigkeit, die sich in den Todesfällen Bahn brach. Wie dem auch sei: Sein fünftes Kind feierte gerade seinen siebten Geburtstag. Und unser Freund bekam es mit der Angst zu tun. Denn seine Frau war bei der Geburt dieses Sohnes gestorben und auch er selbst war nicht mehr der Jüngste: Memento mori, mag ihm da eingefallen sein. Wenn auch dieses Kind sterben würde, das wusste er, würde er ohne Nachfahren bleiben. Und da geschah etwas Seltsames: Der Mann suchte Rat bei denen, von denen er bisher nur gehört hatte und die er gegenüber seinen ›Klienten‹ mehr als einmal verhöhnt hatte – den Patres des Kartäuserklosters. Das wird schwierig gewesen sein, denn die Kartäuser lebten und leben sehr zurückgezogen, nicht wie wir Salesianer, das sehen Sie ja schon daran, dass wir keine Ordenskleidung tragen. Schweigen ist bei ihnen oberstes Gebot, Einsamkeit, Enthaltsamkeit.
Doch offenbar fand er einen Gesprächspartner: Prior Johannes Bilstein. Jedenfalls versprach der ihm, dass sein Kind gerettet werden könnte – allerdings unter der Bedingung, dass er umkehren müsse, seine Sünden bereuen, ein neues Leben beginnen. Unser Freund versprach alles, coram notario et testibus, sozusagen. Aber ob er es wirklich ernst gemeint hat? Vielleicht klammerte er sich auch nur an einen Strohhalm. Wie auch immer: Irgendwann feierte sein Sohn seinen achten Geburtstag und es begann die wundersame Wandlung des Mathias Kreutzer. So hieß unser Freund hier übrigens.
Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sein letzter Sohn auch gestorben wäre, aber er hat überlebt. In nuce: Mathias wurde zu einem Freund und Beschützer der Mönche. Eine komplette Wandlung. Wann immer etwas im Kloster zu reparieren war, wann immer sie Beistand vor den weltlichen Herren brauchten, in ihm hatten sie einen treuen Helfer und Fürsprecher. Mehr als einmal hat er dabei auch für die blanke Existenz des Klosters gekämpft, wofür ihm die Brüder verständlicherweise sehr dankbar waren. Als er starb, pflanzten sie auf seinem Grab eine Buche – und Prior Johannes Bilstein ließ Ende des 17. Jahrhunderts in das Chorgestühl diese Figur schnitzen.«
Kluftinger hatte keinen Mucks gemacht, während der Mönch die Geschichte erzählte. Nach ein paar Sekunden drehte er sich zum Kommissar, sah ihm tief in die Augen und fügte hinzu: »Sie werden jetzt sicher sagen, dass das doch alles alte Geschichten sind, Sagen, Mythen, Hirngespinste, die sich die Menschen in langen Winterabenden ausgedacht haben.«
Kluftinger dachte das ganz und gar nicht und schüttelte leicht den Kopf.
»Nun ja, prima facie vielleicht. Aber haben Sie sich dieses
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