Erntedank
auf Höhe der Abzweigung zur Wallfahrtskirche Maria Steinbach, da fiel ihm ein, dass seine Kollegen ja noch gar nichts von seinem außerplanmäßigen Abstecher wussten. Also fischte er mit der linken Hand sein Handy aus der Hosentasche. Es kostete ihn ziemliche Mühe und erforderte einiges an Gelenkigkeit, das während der Fahrt zu bewerkstelligen.
»Was ist denn los?«, riss seiner Frau schließlich der Geduldsfaden.
»Nichts. Ich brauch bloß das Handy.«
»Sag doch was. Ich kann’s dir doch rausholen.«
»Du willst mir während der Fahrt in die Tasche greifen? Soll ich an den nächsten Baum fahren? Lass mich mal selber machen.«
Seine Frau schwieg. Es war ihr immer peinlich, wenn er zweideutige Witze machte. Selbst, wenn sie nur zu zweit waren.
Als er das Gerät schließlich in der Hand hielt, wählte er die Nummer des Büros.
»Himmelherrgottnochmal, die könnten die Tasten aber auch etwas fingerfreundlicher machen«, schimpfte er, als er sich bereits zum zweiten Mal vertippt hatte. In Wirklichkeit meinte er: wurstfingerfreundlicher. Denn die immer kleiner werdenden Geräte schienen nicht für seine stattlichen Hände gemacht.
»Du sollst sowieso nicht während der Fahrt telefonieren. Das ist verboten. Kostet einen Haufen Strafe, wenn sie dich da erwischen«, maßregelte ihn Erika.
»Soso. Wenn mich wer da erwischt?«
»Na, die Polizei.«
Kluftinger schüttelte den Kopf »Hallo! Ich bin die Polizei.«
»Du weißt schon, was ich meine. Gefährlich ist es trotzdem.«
»Hm-hm«, brummte er.
»Ge-fähr-li-hich, hab ich gesagt!«
»Ja, hab ich gesagt!«
Da Kluftinger nicht weiter darauf einging, fügte sie hinzu: »Jetzt lass halt bitte mich anrufen.«
»Du willst im Büro anrufen? Kommt ja gar nicht in Frage. Wie schaut denn das aus, wenn meine Frau anruft, um zu sagen, dass ich später komme.«
»Ach, und wer ruft immer an, wenn du krank bist?«
Kluftinger lief rot an und schwieg. Zufrieden nahm ihm seine Frau das Telefon aus der Hand, wobei er keine Gegenwehr leistete.
Er diktierte ihr die Nummer, und als sie schon dem Tuten in der Leitung lauschte, sagte sie noch: »Komisch, für meine Finger ist es ziemlich in Ordnung.«
Vom Gespräch selbst bekam Kluftinger nur mit, was seine Frau sagte.
»Kluftinger hier. Ja, hallo Frau Henske … nein, nein, mein Mann ist nicht krank.« Bei diesen Worten warf sie ihm einen zufriedenen Blick zu.
»Ich wollte nur Bescheid geben. Wir fahren gerade nach Buxheim. Wegen dem Fall.« Kluftinger zuckte zusammen, weil sie das wir und den Fall so betonte. Er konnte nur hoffen, dass Fräulein Henske die ganze Sache für sich behalten würde.
***
Wenige Minuten nach halb neun stellten sie ihren Wagen auf dem Parkplatz der Kartause ab. Kluftinger schlug seinen Mantelkragen hoch, da sich der Oktober heute von seiner kühlen Seite zeigte.
Dichter Nebel hing über dem Land, was für diese Jahreszeit im Allgäu – zumal im so genannten »Unterland« – nicht ungewöhnlich war, aber so zäh und hartnäckig wie in den letzten Wochen hatte der Kommissar ihn nur selten erlebt. Er betrachtete ehrfürchtig die weitläufige Klosteranlage – jedenfalls den kleinen Teil, der vom Parkplatz aus sichtbar war, blickte auf eine große Mauer, die den ganzen Komplex umgab, auf Torbögen und gepflegte Grünflächen mit gekiesten Wegen. »Komm, schnell, da geht g’rad eine Führung los.« Seine Frau zupfte ihn am Ärmel und tatsächlich sah er gerade noch die letzten Angehörigen einer Reisegruppe, offenbar des Busses mit dem Autokennzeichen »D« für Düsseldorf, der ebenfalls auf dem Parkplatz stand, im Portal eines kleinen Vorbaus verschwinden.
Im Laufschritt legten er und seine Frau den Weg bis zum Eingang zurück.
Im Inneren erwartete sie eine vierzigköpfige Menschengruppe, der überwiegende Teil mit grauen Haaren und Cordbundhosen zu quietschbunten Regenjacken ausgestattet. Eine der Frauen hielt einen Prospekt in die Höhe und ließ ihre durchdringende Stimme durch das alte Gemäuer schallen: »Zur Führung jetzt alles bei mir sammeln.«
Murrend rissen sich einige von dem kleinen Postkartenstand los, der gleich neben der Eingangskasse platziert war.
»Wir werden nachher noch genügend Zeit haben, ein paar Andenken zu erstehen«, schrie die Frau mit rheinischem Akzent weiter und ihre Stimme brach sich an den Backsteinwänden.
»Jetzt wird uns aber erst mal Frau Heberlein durch das Kloster führen«, fuhr sie fort, wobei sie noch immer ihren Prospekt über den
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