Erntedank
Gaststube aufstieß, freute er sich darüber, endlich mit jemandem über seine Entdeckung reden zu können. Seine Frau saß vor einem leeren Teller und auch in ihrem Getränk befand sich nur noch ein kleiner Schluck. Auf seinem Platz stand dagegen ein noch unberührter Zwiebelrostbraten.
»Erika, jetzt halt dich fest«, begann er ohne Umschweife. »Du wirst nicht glauben, was ich … «
»Dein Essen wird kalt«, unterbrach ihn seine Frau und ihre Stimme blieb dabei emotionslos.
Kluftinger legte die Stirn in Falten. Natürlich war es nicht gerade nett gewesen, sie hier einfach so sitzen zu lassen.
»Hör mal«, begann er in verbindlichem Tonfall, »wenn du schon bei den Ermittlungen dabei bist, dann musst du auch damit rechnen, dass … «
»Ich rechne damit, dass dein Essen kalt ist. Sonst gibt es keinerlei Probleme«, antwortete Erika, doch ihr Tonfall ließ auf eine ganze Menge Probleme schließen.
»Ich … «
»Iss!«
Kluftinger zuckte ob der Schärfe ihres Befehls zusammen. Dann seufzte er, griff sich das Besteck, lud in einer kunstvollen Prozedur ein großes Stück Fleisch, viel Zwiebeln und ein Häufchen Kässpatzen auf seine Gabel, balancierte das Ganze zum Mund und ließ es zwischen seinen Lippen verschwinden. Als er den Mund schloss und zu kauen begann, hielt er kurz inne und überlegte sich, ob er nicht sofort wieder alles auf den Teller spucken sollte. Das Essen war eiskalt. Er blickte seine Frau an, die mit versteinerter Miene ihren Bierfilz in winzige Stückchen riss. Er überlegte kurz und entschied dann, dass es für alle Beteiligten wohl besser wäre, wenn er weiter aß.
»Schmeckt’s?«, fragte seine Frau mit spitzer Stimme.
»Hm-hm«, nickte er und schrieb kalte Kässpatzen im Geiste auf seine Liste der verabscheuungswürdigsten Speisen, die er je verzehrt hatte.
***
Nach einer fast wortlosen Rückfahrt hatte er seine Frau zu Hause abgesetzt, nicht jedoch, ohne vorher noch während der Fahrt vor ihren Augen mit dem Kollegen der Polizeidirektion zu telefonieren und sein Kommen anzukündigen sowie eine Konferenz anzuberaumen. Lediglich, dass er heute Abend ihren Sohn vom Bahnhof abholen müsse, gab ihm seine Frau noch mit auf den Weg.
Etwas abgehetzt kam er schließlich im Büro an, was seine Sekretärin zu dem Satz veranlasste: »War’s denn so anstrengend mit Ihrer Frau?«
Ohne eine Antwort schloss er die Tür hinter sich und ließ sich ächzend in seinen Schreibtischstuhl fallen. Er wollte noch einmal seine Gedanken ordnen, bevor er seinen Kollegen vom heutigen Vormittag erzählen würde. Sein Blick wanderte ziellos auf seinem Schreibtisch umher, als ihm plötzlich ein Stapel Bücher auffiel, der gestern noch nicht dort gestanden hatte. Er nahm das oberste Buch in die Hand und las den Titel: »Menopause. Die Frau am Scheideweg« stand in rosaroten Lettern darauf. Er schüttelte den Kopf, nahm das nächste und las »Schwere Tage leicht gemacht. Die Menstruation der Frau«. Jetzt bekam er einen roten Kopf. Wollte ihn hier jemand veralbern? Nach der Lektüre der zwei nächsten Titel, »Die Fruchtbarkeitsdiät« und »Brustgymnastik« braute sich in seinem Magen ein veritabler Wutausbruch zusammen. Er war absolut nicht zu Scherzen aufgelegt, das hätten sie seinem Anruf von vorhin eigentlich entnehmen können. Sein Mund hatte sich schon geöffnet, um die Frage, was es mit den Büchern auf sich habe, quer durch die Büros zu brüllen, da fiel sein Blick auf die Autorenzeile: Michaela Heiligenfeld. Der Name stand auf allen Büchern. Kluftinger entspannte sich etwas und sein Adrenalinspiegel senkte sich. Da hätte er seinen Kollegen beinahe Unrecht getan und das im doppelten Sinne, denn die Bücher waren ja gleichzeitig ein Beweis, dass sie während seiner Abwesenheit fleißig gewesen waren.
Die Tür ging auf und Strobl kam herein, hinter ihm Maier und Hefele.
»Ah, du hast die Bücher schon gesehen, gut. Wir haben … aber erzähl du doch mal, was gibt es denn so Dringendes?«
Kluftinger konnte es kaum noch erwarten, endlich jemandem von seiner sensationellen Entdeckung zu erzählen, doch er wollte das Engagement seiner Kollegen dadurch honorieren, dass er zunächst ihnen zuhörte. Und außerdem wollte er die Bombe als dramaturgischen Höhepunkt erst zum Schluss dieser Unterredung platzen lassen.
»Nein, nein. Sagt ihr erst mal, was los ist.«
»Dass es sich bei dem Opfer um die Abtreibungsärztin aus Füssen handelt, hab ich dir ja schon gesagt«, fuhr Strobl fort.
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