Erntedank
sein Vortrag dauerte, desto größer wurden die Augen der Kollegen. Am Schluss saßen sie alle einträchtig mit offenen Mündern nebeneinander auf der Couch.
»So, das war’s«, schloss Kluftinger, »das sollte uns doch weiterbringen, oder? Wie gehen wir vor?«
Maier meldete sich, indem er seinen Finger wie in der Schule zaghaft hob, was Kluftinger reichlich deplaziert vorkam.
»Ja, Maier, Sie wissen was?«
Etwas zögerlich sagte er: »Wie heißt denn eigentlich unsere Sonderkommission?«
Die anderen sahen sich verständnislos an.
»Wie sie heißt?«, erwiderte Kluftinger. »Das ist doch völlig wurscht. Wir haben doch jetzt wirklich Wichtigeres zu tun, als uns um so was zu kümmern. Nenn sie meinetwegen … «, er blickte zur Decke und fuhr nach ein paar Sekunden fort: »Soko Sensenmann. So, und jetzt … «
»Also nix für ungut, aber Sensenmann?«, schaltete sich Strobl ein. »Wir müssen ja davon ausgehen, dass auch mal in der Presse über unsere Arbeit berichtet wird, dafür wird Lodenbacher schon sorgen. Und ›Sensenmann‹, also das würde uns vielleicht als Zynismus ausgelegt werden.«
»Ja, stimmt auch wieder. Aber wie nennen wir sie denn dann? Hat jemand einen besseren Vorschlag?«
Etwa eine Minute war es mucksmäuschenstill im Büro, dann hob Maier ruckartig den Kopf und sagte: »Ich hab’s: Soko Sagenhaft.«
Seine drei Kollegen schnauften laut hörbar aus und schüttelten den Kopf. Keiner kommentierte Maiers Vorschlag. Trotzig schlug er einen weiteren Namen vor: »Dann eben Soko Amsel.«
»Amsel? Was soll das denn mit unserem Fall zu tun haben?«, wollte Kluftinger in gereiztem Tonfall wissen.
»Na, wegen der Krähe. Aber Krähe dürfen wir sie ja nicht nennen, weil du ja neulich gesagt hast, dass das mit der Krähe geheim bleiben soll, weil das nur der Mörder wissen kann und wir ihm vielleicht so draufkommen. Deswegen Amsel.«
»Ganz toller Vorschlag, Maier, ganz toll. Sonst noch jemand?«
Maier ließ nicht locker: »Also ich finde, das ist kein sehr kreatives Klima, das hier herrscht. Jeder soll doch seine Meinung sagen können, ohne gleich niedergebügelt zu werden. Bei so einem Brainstorming kommen oft die besten Sachen raus, auch wenn mal ein Schmarrn dabei ist. Sagt jedenfalls die Organisationstheorie.«
»Ja, Richie, jetzt reg dich ab. Hast ja Recht. Also, hast du noch einen weiteren Brainstorm auf Lager oder nur laue Gehirnlüftchen?«
Maier schwieg. Die anderen grinsten schadenfroh.
Dann wagte Hefele einen Versuch: »Und wenn wir sie Soko Sense nennen?«
Strobl und Kluftinger wiegten den Kopf hin und her und wiederholten leise die zwei Worte, die Hefele genannt hatte.
»Nicht schlecht eigentlich«, befand Kluftinger schließlich.
»Ja, schon, aber irgendwie klingt das nach gar nix. So wie: Soko Autoradio. Oder Soko Gefrierbrand.«
»Auch wieder wahr. Ein bisschen knackiger dürft’s schon sein. So wie Soko … Soko … «
»Erntedank.«
Drei Köpfe ruckten herum und starrten auf Maier, der das Wort nur ganz leise vor sich hin gesagt hatte. Erschrocken über die Aufmerksamkeit, die ihm unbeabsichtigt zuteil wurde, holte Richard Maier gerade Luft für eine Rechtfertigung, da rief Strobl neben ihm erfreut aus: »Erntedank, natürlich«, und schlug ihm kräftig auf die Schulter.
»Das hat was, wirklich«, pflichtete ihm Hefele bei.
»Ja, das passt zum Fall und ist was für die Presse. Respekt, Richard!«, stimmte auch Kluftinger in den Chor ein.
Maier wusste gar nicht, wie ihm geschah, und er untersuchte ein paar Sekunden lang skeptisch die Gesichter der anderen nach Anzeichen von Ironie. Als er sicher war, keine gefunden zu haben, hellte sich auch seine Miene auf. »Erntedank«, sagte er stolz und zupfte sich das Revers seines dicken, dunkelbraunen Sakkos zurecht, das die für ihn typischen ledernen Ärmelschoner trug.
»Himmelherrgott!« Bei diesem Fluch seines Chefs zuckte er wieder zusammen, doch er entspannte sich gleich wieder, denn er galt nicht ihm.
Kluftinger sah auf die Uhr: »Jetzt haben wir glatt eine Viertelstunde mit dem Schmarrn verplempert. Wir müssen ja sehr viel Zeit haben.« Dann klatschte er in die Hände und sagte: »Jetzt aber los. Wir müssen ja weiterkommen. Ich denke, wir sollten die – ich nenn sie jetzt mal ›normalen Ermittlungen‹ – weiterhin nebenher laufen lassen. Also Arbeitsplatz, Freunde, und so weiter. Aber vordringlich sollten wir uns drauf konzentrieren, Gemeinsamkeiten der beiden Mordopfer zu finden. Ich meine,
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