Erntedank
»Vielleicht erinnerst du dich noch, Ende der Achtziger war das. Sie hat nicht ganz legal Abtreibungen vorgenommen und ist damit aufgeflogen. Sie hat damals zwar Berufsverbot bekommen, aber zu einer strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Verurteilung ist es erstaunlicherweise nie gekommen. Man munkelte was von Zeugeneinschüchterung.«
Kluftinger nickte.
»Jedenfalls ist sie nicht aus Füssen weggegangen und hat sich als Autorin für Frauen … na, Frauensachen eben, einen Namen gemacht«, drängte sich auf einmal Maier in den Vordergrund. »Ich hab dir hier ein paar Bücher hingelegt, wenn du mal sehen möchtest … «
»Danke, hab ich schon. Sonst noch was?«
Maier blickte ihn verunsichert an. Er hatte wohl etwas mehr Anerkennung erwartet.
Als Kluftinger einem anderen Kollegen das Wort erteilte, hockte sich Maier mit einer beleidigten Schnute auf die Couch.
»Sie hat sehr zurückgezogen gelebt«, erzählte Hefele, »was ja irgendwie auch kein Wunder ist, nach dem ganzen Aufsehen, für das sie gesorgt hat. Sie hat wohl noch Kontakt zu ihrer Schwester, mehr weiß ich im Moment noch nicht. Als Autorin geht es ihr jedenfalls ganz gut. Also finanziell, meine ich. Ansonsten eher nicht, nachdem sie ja jetzt tot ist.«
So hätte sie wirklich niemand reden hören dürfen.
»Dann kann sie sich ja eine Eins-A-Beerdigung leisten«, sagte Maier, der sich mit einem Witz wieder ins Gespräch einklinken wollte, doch über seine Bemerkung lachte niemand.
»Ach ja, wo ist sie eigentlich umgebracht worden? Ist das schon geklärt?«
Hefele blickte zu Strobl, der wieder übernahm.
»Also, das ist so: Genau wissen wir das nicht. Die Kollegen, die ihre Wohnung untersucht haben, konnten jedenfalls nichts entdecken. Sicher können wir deswegen nur sagen, dass sie nicht zu Hause getötet wurde.«
»Na ja, ist ja auch schon was«, sagte Kluftinger und wollte noch ein Lob an seine Kollegen nachschieben, da wurde schwungvoll die Türe aufgerissen und Dietmar Lodenbacher stürmte so heftig ins Zimmer, dass der schlohweiße, wie immer perfekt sitzende Scheitel des hageren, braun gebrannten Niederbayern im Rhythmus der Schritte wippte.
»Ja, Zeit werds, Herr Kluftinga. Wo warn S’ so lang? I hob Eahna gsuacht. Do geht’s ja drunta und drüwa bei Eahna. So geht des fei ned … «
Kluftinger erwog kurzzeitig, sich zu rechtfertigen, ließ es aber dann doch bleiben. Sollte sich Lodenbacher doch ruhig an ihm abreagieren.
Was dieser dann auch tat: Er erklärte allen Anwesenden wortgewaltig und wild gestikulierend, dass es sich hier mal wieder um eine sehr heikle Angelegenheit handle und dass man schnellstmöglich etwas gegen diesen Serientäter unternehmen müsse, die Polizei stehe hier unter ständiger Beobachtung der Öffentlichkeit, man dürfe sich auf keinen Fall blamieren.
Kluftinger hörte scheinbar interessiert zu, fragte sich aber während der ganzen Ansprache nur, ob es Lodenbacher, der sich nur um sein öffentliches Ansehen zu sorgen schien, überhaupt interessierte, dass es auch galt, einen Mörder dingfest zu machen.
Mit Freude nahm er allerdings zur Kenntnis, dass sein Vorgesetzter die Bildung einer Sonderkommission anordnete. Alle Ressourcen, die sie jetzt benötigten, würden ihnen auch zur Verfügung gestellt. »Gonz und gor ois« könnten sie an »Manpower« haben. Das war beim chronischen Personalmangel der Polizei einmal eine schöne Abwechslung, fand der Kommissar.
»Nocha kimmd de leidige Soch gwiß schnoia zu am End, wenn S’ do a Huif homm«, sagte Lodenbacher, bevor Kluftinger das Wort ergriff, um nun seinem Vorgesetzten kurz die neuen Erkenntnisse darzulegen.
»Guad, na gehd ja wos weida, oder?«, waren die letzten Worte des Chefs, bevor er den Raum verließ.
Wie meistens, wenn Lodenbacher das Zimmer verlassen hatte, herrschte erst einmal einige Sekunden Stille. Dann sagte Kluftinger: »Ja, da schau her!«
Als ihn seine Kollegen fragend ansahen, ergänzte er: »Soko, habt ihr’s gehört? Alle Ressourcen und so. Das sind ja ganz neue Töne.«
»Ja, sonst wär’s ihm noch am liebsten, wir würden uns selber einsparen, und auf einmal geht alles«, wunderte sich auch Hefele. »Aber was wolltest du uns jetzt eigentlich sagen?«
Kluftinger hatte selbst für einen kurzen Moment vergessen, worauf er sich doch so lange gefreut hatte. Nun aber konnte er endlich seine Buxheim-Geschichte loswerden, sein Zusammentreffen mit dem Mönch, dem Mesner und vor allem die Geschichte der zwölf Knaben. Je länger
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