Erntedank
sei das beste Buch, das sie kenne. Dass Erika mit diesem Urteil nicht gerade geizig umging, bewies der stetig wachsende und allmählich einstaubende Buchstapel auf seinem Nachttischchen.
Bisweilen, vor allem im Urlaub, überkam ihn aber doch die Leselust. Und hatte er dann nicht vorgesorgt, bediente er sich sogar bei Erikas »Frauenbüchern« und las über englische Lords oder verlassene adlige Damen, die eine Affäre mit einem schwerreichen, leider aber an Krebs erkrankten Stararchitekten hatten, dessen halbwüchsige Kinder sie dann nach seinem Tod selbstlos adoptierten.
All diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er den Laden betrat. Das harmonische Glöckchenspiel der Eingangstür war noch nicht verklungen, da hatte ihn der Inhaber der Buchhandlung schon entdeckt und kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu: »Ach, ist es schon wieder so weit? Steht der Geburtstag Ihrer Frau bevor?«
Kluftinger war die Anspielung auf seine seltenen Besuche peinlich, aber seit der Buchhändler ihn einmal in einem Fernsehinterview gesehen hatte, betrachtete er ihn als seinen prominentesten Kunden und ließ ihm deswegen immer eine besonders persönliche Beratung zuteil werden.
»Grüß Gott, Herr Löwenmuth«, quittierte Kluftinger die überschwängliche Begrüßung deutlich zurückhaltender. Auch heute dachte er kurz darüber nach, dass es wohl nur wenige Berufe gab, zu denen der Name »Löwenmuth« weniger passte, als zu dem des Buchhändlers. Auch die Erscheinung des Geschäftsinhabers ließ nicht darauf schließen, dass er seinem Namen im wirklichen Leben alle Ehre machte: Der Sechzigjährige war nicht besonders groß, seine ganze Erscheinung wirkte schlaff wie sein Händedruck, die Wangen hingen nach unten und verliehen dem Gesicht einen missmutigen Ausdruck. Wie stets trug er einen dünnen Wollpullunder mit V-Ausschnitt, heute in Gelb, mit farblich nicht passendem Hemd und einem seidenen Halstuch.
Über den Rand seiner Halbbrille hinweg, von deren Bügeln sich ein Band um seinen Hals schlang, musterte er den Kommissar. »Uta Danella? Rosamunde Pilcher? Oder vielleicht doch etwas Anspruchsvolleres?«
Er hätte doch woanders hingehen sollen, dachte sich der Kommissar. Aber nun war er schon hier, und ohne ein Buch würde ihn der Geschäftsführer sowieso nicht wieder gehen lassen.
»Nein, diesmal nicht. Ich habe da was anderes im Auge. Haben Sie was über Allgäuer Sagen da?«
Der Buchhändler kniff die Augenbrauen zusammen und tat überrascht: »Sagen? Ja sagen Sie mal, das sind ja ganz neue Töne«, witzelte er. »Aber natürlich habe ich da was für Sie da.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Bitte folgen Sie mir unauffällig.« Er liebte solche Anspielungen auf Kluftingers Beruf, daran hatte sich der Kommissar inzwischen schon gewöhnt.
Löwenmuth führte ihn in den ersten Stock, zur Sachbuch-Abteilung. Dort stand ein Regal, auf dem in großen Lettern das Wort »Heimat« prangte. Darin standen feinsäuberlich aufgereiht viele Berg- und Wanderführer, Bücher über heimische Blumen, Tourplaner für Mountainbiker und jede Menge Kochbücher.
»Moment, das haben wir gleich«, sagte Löwenmuth und ging in die Knie, wobei Kluftinger zufrieden registrierte, dass auch bei dem Buchhändler die Gelenke hörbar knackten. Mit dem Finger fuhr er über die Rücken der Titel im Regal: »Sagen … Sagen … da! Allgäuer Sagen! Sogar ein ganzes Buch nur über heimatliche Mythen.« Über die Schulter reichte er das Werk dem Kommissar
– ein dicker Wälzer mit gut und gerne fünfhundert Seiten.
»Dann haben wir hier noch was über bayerische Sagen«, fuhr Löwenmuth fort und streckte Kluftinger ein weiteres Buch entgegen, »sowie was aus dem schwäbisch-alemannischen Bereich.«
Als Löwenmuth wieder stand, betrachtete Kluftinger unschlüssig die drei Bücher in seinen Händen.
»Also, es kommt jetzt natürlich ein bisschen darauf an, was Sie suchen«, setzte Löwenmuth zu einem seiner berüchtigten Verkaufsgespräche an. Kluftinger wusste, dass, würde er ihn nicht ausbremsen, er nun vom Lebenslauf der Autoren bis hin zur Papierqualität jedes noch so unwichtige Detail in epischer Breite erklärt bekommen würde. Deswegen ging er sofort dazwischen und verkündete dem verdutzten Buchhändler: »Ich nehme alle. Am besten in mehrfacher Ausführung.«
Als er ein paar Minuten später an der Kasse stand, hatte er einen Stapel von etwa einem Dutzend Büchern vor sich. Mit spitzen Fingern tippte Löwenmuth die Preise ein und
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