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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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Stadtarchiv, die können Ihnen diesbezüglich vielleicht weiterhelfen. Oder noch besser: Schauen Sie mal bei der Frau Urban, Hiltrud Urban, in Kaisersmad vorbei. Die befasst sich seit Jahren intensiv mit Sagen und Mythen des Allgäus. Sie wohnt auf einem wunderschönen, uralten Bauernhof. Mein archäologisches Interesse hat mich da mal hinausgeführt. Jedenfalls kann die Ihnen bestimmt mehr sagen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden.«
    Kluftinger war der Archäologe im Verlauf des Gespräches eigentlich immer unsympathischer geworden. Er wurde nun einmal nicht gerne wie ein Kind behandelt. Als Kriminalhauptkommissar war es seine Pflicht, alle Informationsquellen anzuzapfen. Denn in seinem Beruf ging es im schlimmsten Fall um Menschenleben, während die Menschen, mit denen sich ein Archäologe befasste, sowieso nicht mehr zu retten waren.
    Gerne hätte er das alles seinem Gegenüber gesagt, doch aus irgendeinem Grund traute er sich nicht, was möglicherweise an dem Respekt lag, den ihm seine Mutter vor akademischen Titelträgern eingebläut hatte. Ehrfürchtig hatte sie immer die Stimme gesenkt und vom »Herrn Doktor« oder gar »dem Herrn Professor« gesprochen, wenn jemand über derartige Namensattribute verfügte, wobei sie den eigentlichen Namen dann meist gar nicht mehr erwähnte. So hatte er früher lange nicht einmal gewusst, wie sein Kinderarzt geheißen hatte. Mit einem devoten Gruß trat Kluftinger den Rückzug an.
    »Ach, wo Sie schon hier sind«, rief ihn der Archäologe noch einmal zurück, »können Sie mir hier vielleicht noch ganz kurz helfen?«
    Schneider deutete auf einen großen, rechteckigen Gegenstand am Boden.
    »Natürlich«, brummte der Kommissar und ging noch einmal zurück. »Was gibt’s denn?«
    »Hier, die Abdeckung müsste wieder zurück auf diesen Stein.«
    Kluftinger blickte erst auf die Abdeckung, eine große, kupferne Platte, die inzwischen durch die Witterungseinflüsse fast schwarz geworden war, und den Stein, der auf einem etwas erhöhten Sokkel lag. Irgendetwas kam Kluftinger an diesem Anblick bekannt vor. Ihm war dieses Gefühl vertraut; jeden Moment würde es in seinen Gedanken »klick« machen. Er blieb einfach regungslos stehen und verließ sich darauf, dass das auch heute wieder funktionieren und sich der Gedanke durchsetzen würde. Dabei ignorierte er die wiederholte Aufforderung des Archäologen, die Platte doch am anderen Ende anzufassen.
    Dann hatte er es. Er machte auf dem Absatz kehrt, winkte dem Archäologen zum Abschied zu und rannte zum Ausgang. Er hörte nicht mehr, wie Schneider wütend vor sich hinbrummte: »Dein Freund und Helfer. Von wegen!«
    ***
    Keine zehn Minuten später, wofür einige Geschwindigkeitsübertretungen nötig gewesen waren, stand Kluftinger dort, wo vor über einer Woche alles begonnen hatte: in Rappenscheuchen. Er empfand es immer als seltsam, an den Schauplatz eines Mordes im Laufe der Ermittlungen zurückzukehren. Beim ersten Mal waren die Tatorte immer von geschäftigem Treiben erfüllt, überall schwirrten Polizisten, Ärzte, Beamte in Zivil herum, alles war, auch wenn es sich um ein Tötungsdelikt handelte, angefüllt mit Leben.
    Kehrte man aber später zurück, dann war dieses Leben verschwunden und der Ort atmete nur noch die Atmosphäre eines Leichenfundortes: dunkel, unheimlich und – bis zur Aufklärung – geheimnisvoll.
    Deswegen rumorte es auch in seinem Magen, als er den kleinen Hügel erstieg und auf den Platz zulief, an dem sie Sutter gefunden hatten. In Gedanken sah er dieses Bild noch einmal vor sich, aber sein innerer Blick war nicht auf die Leiche gerichtet. Stattdessen wanderte er die rechte Hand des Toten entlang und blieb da haften, wo sie in einer grotesken Verrenkung nach hinten ausgestreckt gelegen hatte. Sie hatte auf einem großen Blech geruht, jetzt stand Kluftinger noch einmal davor. Einen Stein hatte er schon damals darunter vermutet. Und der Bauer, der Sutter entdeckt hatte, hatte es ihm bestätigt. Wie hatte er sich noch ausgedrückt? Gedenkstein, oder so ähnlich. Der Kommissar ärgerte sich ein bisschen über sich selbst, dass ihm das damals noch nicht aufgefallen war. Doch sein Zorn hielt sich in Grenzen, schließlich hatte er damals noch nicht gewusst, was er heute wusste.
    Jetzt stand er ein wenig nervös vor dem Blech, das ganz anders aussah als noch vor einer Woche: Es blinkte silbergrau, wie poliert. Offenbar hatte es jemand gegen das alte ausgetauscht. Falls es der Bauer gewesen war, so

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