Erntedank
anderen Wohnhäusern, die einfach durchnummeriert worden waren. Sie suchten das Haus mit der Anschrift Kaisersmad 7. Zwar wusste Kluftinger aus dem Gespräch mit Dr. Schneider, dass es sich um einen alten Hof handeln musste. Das traf aber auf so ziemlich jedes Haus hier zu. Und die Verteilung der Hausnummern war nicht zu durchschauen: Da kam 3a neben 6c, das nächste Haus hatte die 23.
Es dauerte eine ganze Weile, dann wurden die Beamten fündig: Etwas geduckt lag das Haus an der linken Seite der leicht ansteigenden Straße. Ein alter Allgäuer Hof; wie ihn der Kemptener Denkmalpfleger beschrieben hatte. Die typischen Bauernhäuser bestanden aus nur einem Langhaus, besaßen ein flach geneigtes Dach und waren oft mit Holzschindeln gegen das Wetter geschützt. Der ehemalige Wirtschaftsteil des Hauses musste zum Wohnhaus umgebaut worden sein, was die Vorhänge an den Fenstern der Holztenne verrieten. Dunkles, verwittertes Holz dominierte die Fassade. Die kleinen Fenster mit den alten Fensterläden verbreiteten eine heimelige Atmosphäre und wirkten nicht wie die Augenhöhlen eines Totenkopfes, wie es Kluftingers Meinung nach bei allzu vielen Neubauten der Fall war. Kluftinger bog in den gekiesten Hof ein, dessen Ende ein kleiner alter Bauerngarten markierte, der von einem grünen, schmiedeeisernen Zaun begrenzt wurde.
Kluftinger fielen beim Einfahren zwei Dinge gleichzeitig auf: Zum einen das originelle Heiligenbild, das auf schräg gestellte Lamellen gemalt war und je nach Blickwinkel entweder die Heilige Jungfrau oder einen leidenden Christus preisgab. Zum zweiten ein pechschwarzer Dobermann, der in gemessener Entfernung zur hölzernen Eingangstür des Hauses im Kies lag. Kluftinger hielt den Wagen an, stellte den Motor ab, warf zuerst einen Blick auf den regungslos herumliegenden Hund, dann einen zur Haustür, deren Bretter sternförmig angeordnet waren, dann wieder einen zum Hund und blickte schließlich zu Hefele.
»Klingelst du gleich mal?«
»Ich?«, fragte Hefele ungläubig, der den Hund ebenfalls bemerkt hatte. Er überlegte mit zusammengekniffenen Lippen und starrem Blick auf den Dobermann und warf Kluftinger sodann ein »Nein« hin, das diesen in seiner Entschiedenheit überraschte.
»Doch. Ich bin dafür Auto gefahren.«
»Ich mach vieles und ich würde so gut wie nie eine Anordnung missachten. Aber bitte – geh du!«
Hefele versuchte es also auf die Mitleidstour. Kluftingers Blick wanderte wieder zum Hund. Der schmale Kopf des Tieres lag auf den Pfoten und auf den ersten Blick hätte man meinen können, dass er gelangweilt aussah. Kluftinger aber blickte ihm eine Weile tief in die Augen und war sicher, blutrünstigen Hass darin zu entdecken.
Für einen Augenblick sagten die beiden nichts, bis Hefele aus seinem Pfeifentäschchen, das er immer bei sich trug, auch wenn Kluftinger ihn noch nie eine Pfeife hatte rauchen sehen, eine Pakkung Streichhölzer herauszog. Kluftinger sah kurz zu ihm und fixierte dann wieder besorgt den Hund. Seitdem sie auf den Hof gefahren waren, hatte der sich nicht gerührt.
Kommentarlos streckte Hefele seinem Vorgesetzten zwei Streichholzköpfchen hin.
»Wer den Kürzeren zieht, geht.«
Darauf musste Kluftinger wohl oder übel eingehen. Es war eine faire Sache. Eine gerechte Angelegenheit zwischen echten Männern. Aber nicht deshalb, sondern weil sich nun immerhin eine fünfzigprozentige Chance ergab, nicht gehen zu müssen, zog Kluftinger wortlos am rechten Hölzchen.
»Der tut eh nichts. Der liegt ganz still da. Keine Angst, das geht schon«, tönte Hefele erleichtert.
Kluftinger hatte ein halbes Schwefelholz in der Hand und wurde blass. Langsam bewegte er seine Hand in Richtung Türgriff, ließ sie dort einen Moment liegen – und zog sie wieder zurück. Er schüttelte den Kopf. Sollten sie ihn doch eine Memme nennen, er wusste, wo seine Grenzen lagen.
»Nicht bei dem Hund. Diese Sorte hat ein Problem mit mir. So einer hat mich einmal gebissen, als ich als Kind mit dem Roller bei meinen Eltern im Garten gefahren bin. Da hatten wir noch kein Gartentor und der kam rein und hat mich einfach vom Roller gestoßen und mich am Arm gepackt. Aus heiterem Himmel, weißt du? Aus so etwas kann ein echtes Trauma entstehen. Hat mein Markus neulich erst wieder gesagt. Und Phobien auch.«
»Dann fahr halt so nah an die Tür, dass man zur Glocke nur schnell hinüberhechten muss und sofort wieder im Auto ist.«
»Meinst du?«
»Bevor wir hier noch ewig stehen! Wird ja auch
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