Erntemord
aussehen.“ Er musste zugeben, dass das ein ganz plumper Versuch gewesen war, das Thema zu wechseln.
Sie verzog das Gesicht. „Jeremy, ich habe mit diesen Jeans im Dreck gelegen.“
„Okay, das ist ein Argument. Dann lauf die Straße hinunter und kauf dir etwas anderes.“
„Sie verkaufen dort unten wirklich hübsche Wiccaner-Kleider“, neckte sie.
„Ich bin sicher, dass du wunderbar darin aussehen würdest.“ Jeremy weigerte sich, den Köder zu schlucken. „Ich gehe nach oben, um zu duschen. Wir sehen uns, bevor ich losfahre, aber bitte versprich mir, dass du in der Stadt bleibst und auf mich wartest. Fahr nicht ohne mich hinaus.“
„Ist in Ordnung. Ich bleibe in der Gegend. Ich will sowieso in die Bibliothek und vielleicht auch ins Museum. Ruf mich einfach an, wenn du zurück bist.“
Sie ging nach ihm unter die Dusche, und als er unten die Schlüssel samt einer Nachricht auf den Tresen legen wollte, kam sie angezogen und fertig gemacht nach unten.
„Ich sterbe vor Hunger“, verkündete sie. „Ich werde rasch frühstücken gehen.“
Er gab ihr die Schlüssel, und sie bedankte sich.
„Soll ich dich irgendwo absetzen?“, fragte er.
Sie lachte. „Machst du Witze? Ich muss ein paar Blocks gehen, und es ist schön draußen.“
„Es ist kalt.“
Rowenna lachte erneut. „Du hältst das für kalt? Dann haben Sie noch nicht viel erlebt, Mister.“
Selbst in Jeans, Stiefeln, einem Pullover und einer Jeansjacke sieht sie elegant und würdevoll aus, dachte er, während er ihr nachschaute und dann den Wagen aus der Ausfahrt lenkte.
Jeremy wusste nicht recht, warum, doch die Normalität der Menschen, die in der Gerichtsmedizin arbeiteten, überraschte ihn immer wieder. Die Empfangsdame, eine kecke Mittzwanzigerin, hatte ebenso wenig ein Problem, die Lebenden zu begrüßen, wie sich in Räumen aufzuhalten, in denen Leichen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung aufbewahrt wurden.
Sie brachte ihn nach hinten und stellte ihm „Harold“ beziehungsweise Dr. Albright vor, einen von acht Pathologen, die hier arbeiteten. Harold und sein Assistent hatten die Arbeit an der Leiche der unbekannten Frau bereits aufgenommen, und Joe Brentwood stand steif daneben und sah zu.
Es dauerte lange. Die Tote war nach ihrer Ankunft geröntgt worden, man hatte ihre Kleidung untersucht und bereits Blutproben genommen. All das erfuhr Jeremy von Dr. Albright, der in ein Mikrofon sprach, das über der Leiche von der Decke hing. Auf diese Weise konnte er während der Arbeit die Ergebnisse diktieren. Er identifizierte die Leiche als die einer jungen Frau zwischen siebzehn und dreiunddreißig Jahren, etwa einen Meter und sechzig groß und hundertzwanzig Pfund schwer. Ihr Genick war gebrochen. Sehr wahrscheinlich war das nach Eintritt des Todes passiert, als der Kopf durch das Aufknüpfen des Körpers an dem Vogelscheuchengerüst nach vorne gefallen war. Die Todesursache schien Strangulation zu sein; an Hals und Nacken waren starke Würgemale zu erkennen. Bisher hatte man hauptsächlich organische Spuren an der Leiche sicherstellen können, wie Schmutz und Gräser, Insekten und andere noch unbekannte Substanzen.
Der Verwesungsgeruch war stark, selbst in dem kalten Autopsieraum. Joe deutete auf einen Edelstahltisch an einer Wand – ein wortloser Vorschlag, dass Jeremy eine Maske aufsetzen möge.
Jeremy nahm das Angebot nur zu gerne an.
Es war fast unmöglich, sich zu distanzieren. So wie Joe stand er nur wenige Meter von der Leiche entfernt und versuchte die Vorstellung zu vermeiden, dass das verwesende Fleisch und die hervorstehenden Knochen auf dem Tisch einst gelebt, geatmet, gelacht hatten.
Es wurden weitere Fotos gemacht, doch Jeremy war sicher, dass sie nicht zur Identifizierung aufgenommen wurden.
Dafür war ihr Gesicht zu verstümmelt.
Allerdings nicht durch den Mörder, wie er bald feststellte.
Abgesehen von der roten Schnittwunde quer durch ihren Mund stammten die Verletzungen in ihrem Gesicht von den Raubvögeln und Insekten, die sich an ihr gütlich getan hatten, solange sie auf dem Feld gehangen hatte.
Sie hatte kurz vor dem Tod Geschlechtsverkehr gehabt, und die Verletzungen an den Genitalien wiesen darauf hin, dass es sich um eine Vergewaltigung gehandelt hatte. Dr. Albright schätzte den Zeitpunkt des Todes auf etwa eine Woche vor Entdeckung der Leiche. Sie schien bis zu ihrem Tod weder schlecht ernährt noch dehydriert gewesen zu sein.
Die Stimme des Pathologen wurde zu einem Summen in Jeremys
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