Erntemord
– und ja, sogar wir Landeier haben so etwas – haben Sie Männer aufgespürt, die in einer sechssitzigen Cessna umgekommen waren, eine Frau, die man angekettet an einen Zementblock in den Kanal geworfen hatte, und ein Paar, das nach einem Unfall in einem frisierten Dragster sechs Meter tief ins Wasser gefallen war. Sie haben sogar mehrere Leben gerettet. Was also hat Sie das Handtuch werfen lassen?“
„Die Kinder“, sagte Jeremy.
„Die Kinder?“, echote Joe.
„Ein Van voll mit Pflegekindern.“
„Weil sie tot waren?“
„Weil eines von ihnen es nicht war. Und weil ich zwei Minuten zu spät war, um ihn zu retten“, sagte Jeremy tonlos.
Weil er in meinen Träumen am Leben ist.
Nicht dass er das zugeben würde.
Doch Joe musterte ihn noch immer neugierig. Jeremy war nicht sicher, warum er wollte, dass der Mann gut über ihn dachte; er musste niemandem etwas beweisen.
Doch Joes gute Meinung bedeutete ihm etwas.
Weil Joe Rowenna etwas bedeutete?
Er wollte nicht darüber nachdenken.
„Man lernt in diesem Geschäft, dass man nicht jeden retten kann – und man darf sich deswegen keine Vorwürfe machen“, sagte Joe schließlich.
„Ich mache mir keine Vorwürfe. Die mache ich dem, der sie verdient hat: dem idiotischen Pflegevater, der getrunken hatte und dann in diesen Kanal steuerte. Aber das hilft nichts. Ich machte mir keine Vorwürfe. Ich war nur bereit zu gehen. Wie auch immer, mir gefällt es, was ich jetzt tue. Mit meinen Brüdern zu arbeiten … Wir sind ein gutes Team. Und ich mag die Flexibilität. Brad braucht mich, und ich kann hier sein. Funktioniert alles.“
Joe nickte langsam und sah ihn noch immer unverwandtan. Jeremy hatte keine Ahnung, was er sah, doch der Blick des älteren Mannes war zu durchdringend, um tröstend zu sein.
Außerdem waren sie vom Thema abgekommen, und er war sicher, dass Joe Brentwood auf die Lösung des Falls ebenso erpicht war wie er. Er tippte auf das Blatt, das Joe in der Hand hielt, und fragte: „Was zeigen die Kreditkartenabrechnungen?“
Joe überflog das Geschriebene. „Am achtzehnten Oktober checkte sie in einem Hotel in Saugus ein, genau die Straße hinunter. Checkte am Halloween-Morgen aus … Nein, Moment. Ihre Abreise war für den 26. geplant, sodass sie automatisch ausgecheckt wurde. Sie hatte nichts im Zimmer zurückgelassen, also hatte das Hotelpersonal keinen Grund, ein Problem zu vermuten. Am zwanzigsten Oktober hob sie an einem Geldautomaten ein paar Hundert Dollar ab. Da scheint sie zum letzten Mal ihre Karte benutzt zu haben.“
„Was ist mit ihrem Wagen?“, fragte Jeremy, und Joe übergab ihm den Zettel.
Jeremys Augen überflogen die Seite, während Joe ihn musterte. Er fand, was er suchte, und wandte sich wieder Joe zu. „Er wurde verlassen neben der I-95 nach Norden gefunden, südlich der Grenze zu Maine. Man hat ihn am ersten November abgeschleppt, aber die Behörden wissen nicht, wie lange er schon da stand. Gemeldet wurde er am Tag zuvor von einem Highway-Polizisten, der ihn dort schon mindestens seit zwei Tagen gesehen hatte.“
„Ich glaube, damit könnten wir etwas haben“, sagte Joe. Er holte sein Handy heraus und wählte eine Nummer. Er teilte einem der Hilfssheriffs Dinah Greens Namen mit und wies ihn knapp an, dass er jede verfügbare Information aus Boston anfordern und die zahnärztlichen Unterlagen sofort an Doc Harold weiterleiten solle. Er wollte möglichst aktuelle Bilder, und seine Männer sollten die Bars und Geschäfte der Gegend abklappern, ob jemand sie gesehen hatte, und wenn ja, wannund mit wem. Dann klappte er das Handy zu. „Noch irgendwas? Irgendjemand?“, fragte er. „Ich habe zwar das Gefühl, dass Sie unsere Unbekannte gefunden haben, aber für den Fall, dass sie es nicht ist …“
Sie verbrachten weitere zwanzig Minuten damit, den Rest der Vermisstenmeldungen durchzugehen, und am Ende legte Jeremy drei beiseite. „Zu diesen passt die Beschreibung, aber sonst nicht viel. Da ist ein Mädchen von Princeton, das offenbar einen Riesenstreit mit seinem Freund gehabt hatte. Aber laut der Polizei in New Jersey hat sie bei einer Zweigstelle ihrer Bank in New Hampshire persönlich Geld abgehoben. Und hier ist eine Frau aus New York City, die, wie sich herausstellte, mit ihrem Freund zusammen abgehauen ist – die Mutter hat es später gemeldet. Sie sagte, sie kann den Freund nicht leiden. Er sei Italiener, vermutlich in der Mafia, und habe ihre Tochter auf eine Karibikinsel entführt.“
„Sie
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