Erntemord
machen Witze. Er ist Italiener und muss deshalb bei der Mafia sein?“, fragte Joe empört.
„Die Mutter mag ihn nicht. Sie muss irgendwas Negatives finden“, entgegnete er ruhig und wandte sich wieder den Papieren zu. „Hier ist noch eine, die es sein könnte – Charlene Nottaway. Sie verließ New York und wollte zu einer Hütte in Maine, doch dort ist sie noch nicht aufgetaucht. Sie verließ die Stadt in der letzten Oktoberwoche und hat seitdem keine Kreditkarte benutzt.“ Er sah zu Joe hoch. „Sie ist achtunddreißig. Ein bisschen älter, als der Gerichtsmediziner unsere Leiche aus dem Maisfeld schätzt.“
„Ja. Ich denke, es wird das erste Mädchen sein, aber ich werde über diese auch Erkundigungen einziehen“, sagte Joe grimmig.
Plötzlich runzelte er die Stirn und sah Jeremy argwöhnisch an. „Wo ist Rowenna?“
„Sie wollte einige Nachforschungen anstellen“, erwiderte Jeremy.
„In der Stadt?“, fragte Joe scharf.
„Ja.“
„Sie ist nicht alleine reingefahren, oder?“, wollte Joe wissen.
Jeremy schüttelte den Kopf. „Nein.“ Er zögerte einen Moment. Rowenna war nicht Joe Brentwoods Tochter. Sie war über einundzwanzig. Ihr Leben gehörte ihr. Warum also fühlte er sich wie ein CollegeJunge, der mit seinem Mädchen zu lange ausgeblieben war? „Sie ist bei mir in der Stadt geblieben. Ich habe ein Haus drüben in der Essex Street gemietet.“
„Ich verstehe.“ Joe sah ihn an und seufzte. „Die Sache ist die, ich wollte immer, dass sie ein neues Leben beginnt. Ich wollte nur nicht, dass es ein Leben mit einem Cop oder einem Soldaten ist“, sagte Joe. „Und ich glaube nicht, dass Ihr Beruf so viel sicherer ist.“
Jeremy blickte hinab auf die Überreste seines Hamburgers. Gut durch. Normalerweise mochte er das Fleisch blutig. Allerdings nicht nach einer Autopsie. Er war ein Fleischesser und hatte keine Absichten, Vegetarier zu werden. Doch die Überreste eines Menschen zu sehen war dem Genuss von blutigem Fleisch nicht gerade zuträglich.
Er sah Joe an. „Es gibt keine Garantien im Leben“, sagte er.
„Nein. Es gibt keine Garantien. Aber es gibt Statistiken. Und die Statistiken für Soldaten und Cops sind nicht gut – ebenso für jeden, der sich mit Verbrechern anlegt. Warum spielen Sie nicht einfach nur Gitarre?“
Jeremy lachte. „Ich bin nicht gut genug, um damit Geld zu verdienen.“
„Da hab ich aber ganz anderes gehört.“
„Steht das in der Akte, die Sie über mich angelegt haben?“Joe grinste nur.
„Ich spiele gern, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich mag die Ermittlungen und die Arbeit mit meinen Brüdern lieber. Darin steckt echte Befriedigung. Für mich ist das wichtig. Und, das darf ich anmerken, Sie machen mir nicht gerade den Eindruck, als würden Sie vorzeitig in den Ruhestand gehen.“
Joe schwieg eine Zeit lang. „Nun, ich habe sowieso das Gefühl, auf gestundete Zeit zu leben, wenn Ihnen das was sagt. Frau und Sohn, beide tot. Ich habe Freunde, und ich bin kein Selbstmörder-Typ. Aber meine Arbeit ist jetzt mein Leben.“
„Es ist nicht wirklich ein Leben, wenn Sie nicht irgendeine Art von Bedeutung darin finden“, sagte Jeremy.
Joe schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. „Ich mache mir Sorgen um sie.“
Er brauchte nicht zu sagen, von wem er sprach. Jeremy wusste, dass er Rowenna meinte.
„Sie machen sich Sorgen um sie – aber gleichzeitig suchen Sie sie auf, damit sie Ihnen in möglicherweise gefährlichen Situationen hilft“, erinnerte ihn Jeremy.
„Sie wird sowieso in diese Dinge hineingezogen, ob nun mit mir oder ohne mich“, sagte Joe. „Die Sache ist die: Ich würde mich für sie erschießen lassen. Fragt sich, was Sie tun würden?“
Er meinte es ernst. Todernst.
Jeremy lächelte. „Das ist ein Teil der Ausbildung, wissen Sie. Nicht nur, weil sie mir am Herzen liegt, aber Sie kennen den Drill. Schützen und dienen. Schützen. Immer an vorderster Front sein, bereit, sich die Kugel einzufangen.“
Joe nickte und stand dann ungeduldig auf. „Es ist … Sie müssen vorsichtig mit ihr sein. Wirklich vorsichtig.“
„Weil sie … vorschnell handelt?“, fragte Jeremy.
„Weil man nie genau weiß, was sie sieht“, erwiderte Joe. E rnahm die Rechnung, die die Kellnerin mit dem Essen gebracht hatte. „Sie haben mein Essen gestern Abend übernommen. Ich übernehme den Lunch. Ich rufe Sie an, wenn ich etwas habe.“ Er nahm die Akten und ging nach draußen. Jeremy sah ihm hinterher und griff dann nach dem
Weitere Kostenlose Bücher