Ernten und Sterben (German Edition)
und merkte nichts. Also machte Albertine einen Schritt zurück, um Schwung zu holen, was Lisa nicht registrierte. Mit der Beweglichkeit einer Katze sprang Albertine Lisa an, und beide stürzten zu Boden. Der Ringkampf zwischen Radieschenbeet und Erdbeerrabatte folgte streng den Regeln der FILA . Beim Freistil waren Schläge, Tritte und Würgen verboten. Verbale Tiefschläger allerdings nicht.
»Der Pferdebesohler war doch mal Wrestler. Hast du mit ihm im Bett trainiert?«
Lisa ging schon in der ersten Runde die Luft aus, und sie schnappte nach Luft, während Albertine sie im Schwitzkasten hielt. »Notgeiles Flittchen!«, stieß sie hervor.
»Alte Schabracke!«
»Knochenbrecherin!«
»Klippschul-Lehrerin!«
»Friss Staub!«
»Du hast es so gewollt«, sagte Albertine und fing an, Lisa Radieschengrünzeug in den Mund zu stopfen. Dabei zitierte sie lauthals die Verse: »Pauker blüh’n so harmlos, doof und leis’, wie bescheidene Radieschen: außen rot und innen weiß.«
»Lass Kurt Tucholsky aus dem Spiel.« Die männliche Stimme, die plötzlich vom Haus zu hören war, gehörte zu Hubertus. Beherzt trennte er die Kampfhühner. Albertine klopfte seelenruhig ihr geblümtes Leinenkleid ab.
»Jetzt hilfst du bitte Lisa auf die Beine«, sagte Hubertus.
»Nur über meine Leiche.«
»Mit solchen Formulierungen wäre ich im Moment vorsichtig.« Hubertus reichte Lisa die Hand.
»Du bist eben ein wahrer Gentleman.« Lisas Blumenkleidchen aus Stretch-Jersey war am linken Ärmel eingerissen. »Das Kleid zahlst du mir, du Furie!« Angesichts ihrer Worte war Lisas Tonfall erstaunlich sachlich.
»Soll ich dir die zehn Euro für Hansi und Mausi jetzt geben oder überweisen?«
»Vierzehn fünfundneunzig! Geschenkt!«
»Lass uns bitte jetzt nach Hause gehen.« Hubertus hob beschwichtigend die Hände und schaute von einer zur anderen.
»Du weißt auch nicht, was du willst, Schätzchen.« Albertine trat einen Schritt vor, und fast sah es so aus, als würde der Kampf in die zweite Runde gehen. Doch dann wandte sie sich um und verließ fluchtartig den Garten.
»Du brauchst etwas Ruhe und solltest einen chinesischen Bai-Mu-Dan-Tee trinken, der wirkt beruhigend und hat eine wunderbare Farbe«, rief Hubertus, der Albertine folgte.
Lisa lächelte ihnen versonnen nach, während sie sich das Grünzeug aus dem Haar zupfte. Sie wusste genau, dass kein Blatt zwischen sie und ihre Busenfreundin passte. Morgen würde ihre kleine Rangelei schon wieder vergessen sein.
Egon-Erwin strahlte vor Glück, als der Download seiner Videodatei beendet war. Fehlte nur noch, dass sein Handy einen Selbstzerstörungsmechanismus hatte und er so alle Spuren verwischen könnte. Aber in dem Eimer mit der schwarzen Farbe würde niemand herumstochern. Jetzt machte sich sein Volkshochschulkurs mit dem Titel »Videobearbeitung – Aufbaukurs 1« voll bezahlt. Erst bereinigte er das Video von allen kompromittieren Bildern mit der Bordeauxdogge und konzentrierte sich dann auf die wichtigsten Einstellungen. Bild für Bild ging er die Tatortaufnahmen durch und sicherte die blutigsten Bilder als Fotos. Die Kollegen der Internetredaktion nervten ihn schon. Doch Egon-Erwin gab die Bilder und die Clips erst frei, als er schriftlich die Zusage hatte, dass sie erst nach Auslieferung der Printausgabe online gestellt würden.
Der Aufmacher musste vom Redaktionsleiter, dem Hausjuristen und zuletzt von dem Inhaber der Landeszeitung gegengelesen werden. Es gab viele Details zu klären, und ein Restrisiko blieb bestehen. Hatte Egon-Erwin mit diesem journalistischen Husarenstück gegen seine Kautionsauflagen verstoßen? Es war ihm nicht egal, aber schien einfach unumgänglich, auch um den Killer aus der Reserve zu locken. Nicht gerade erleichtert, aber durchaus zufrieden verließ er die Redaktion, um zu Albertine und Hubertus zu fahren.
Die intime Lagebesprechung zwischen Müller Eins und Zwo war kein großer Erfolg gewesen. Auch im größeren Kreis schien nicht viel herauszukommen. Ein Dutzend Beamte saß herum, wie bestellt und nicht abgeholt. Einer beobachtete die Vögel vor dem Fenster, ein Zweiter bohrte sich in der Nase, während ein Dritter aufdringlich in den Ausschnitt einer blutjungen Kollegin glotzte.
»Die DNA ist ja eine wirklich großartige Erfindung, aber in diesem Fall gleicht sie eher einem Puzzle mit zehntausend Teilen.« Müller Eins spielte gelangweilt mit ihrem Kugelschreiber.
»Es gibt sogar ein Puzzle mit zweiunddreißigtausend Teilen. Von
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