Ernten und Sterben (German Edition)
als nichts.« Hubertus war stolz auf seine fernöstlichen Studien. Ihm wurde die exakt achtzig Grad heiße Schale gereicht. Clementine strahlte über das ganze Gesicht.
»Wie lange haben Sie mit dem Matcha-Besen gerührt? Fünfzehn Sekunden? Der Schaum macht einen maschinellen Eindruck. Hoffentlich haben Sie sich nicht mit einem batteriebetrieben Milchaufschäumer an dieser Köstlichkeit vergangen«, sagte Hubertus in Richtung Clementine, die ihre Ohren auf Durchzug gestellt hatte und zurück in die Küche ging.
»Du bist die fleischgewordene Eitelkeit und stellst dein Wissen aus wie eine Nutte auf der Reeperbahn ihre Titten«, sagte Albertine, die, den Telefonhörer in der Hand, an der Wohnzimmertür stand.
»Ich liebe es, wenn du dich so ordinär ereiferst. Das macht mich ganz …«
Albertine schüttelte nur den Kopf. »Ferdinand von Scherz ist bereits unterwegs nach Lüneburg.« Sie setzte sich wieder an den Tisch und widmete sich ihrem rustikalen Landhausfrühstück, während Hubertus sich Reis, gebratenem Fisch, Nattou, Nori und Tsukemono zuwandte. Zum Abschluss schlürfte er noch vernehmlich ein Schälchen Misosuppe aus.
»Haben Sie gut geschlafen, Wutke?«, fragte Müller Eins.
»Für Sie immer noch Herr Wutke.« Egon-Erwin hatte kein Auge zugetan. Er konnte sich nicht vorstellen, was schlimmer war: die Enge der Gefängniszelle oder die Videodatei vom Tatort, an die er noch nicht rangekommen war. Sein Redaktionsleiter hatte gestern die ganze Situation nur noch verschlimmert und sich bei der Polizei wie die Axt im Walde verhalten. Weil ihm niemand zuhörte, hatte er wie immer laut zu schreien begonnen, und bevor er die Büromöbel der Kriminalpolizei demolieren konnte, hatte man ihn sanft, aber bestimmt vor die Tür geschoben. Fast hatte Egon-Erwin den Eindruck gehabt, als würde es sein Chef darauf anlegen, eingesperrt zu werden.
»Wie wär’s denn jetzt mit einem Pflichtverteidiger?«, sagte Müller Zwo. »Oder wollen Sie einen Anwalt Ihrer Wahl anrufen?«
»Nein«, sagte Egon-Erwin wahrheitsgemäß, der einen gehörigen Respekt vor seiner Rechtsschutzversicherung hatte und noch nie verhaftet worden war.
Nun saß er in einem Verhörraum, der schlimmer aussah als in jeder ZDF -Vorabendserie. Klogrün gestrichen, ein Tisch in der Mitte und an dessen Stirnseite jeweils zwei harte Stühle. Vor Egon-Erwin stand eine rostige Tischlampe, die nicht einmal die Stasi zu Verhörzwecken eingesetzt hätte. Einzig das Mikrofon und der Field-Rekorder schienen dem aktuellen technischen Standard zu entsprechen.
Müller Zwo hatte allerdings Probleme, das Gerät in Gang zu setzen.
Müller Eins, die immerzu am kurzen Rock ihres Designerkostüms zupfte und mit der linken Hand eine Zigarette der Marke Eve paffte, beobachtete ihn dabei argwöhnisch. »Hat Ihnen eigentlich schon jemand gesagt, dass Sie das Recht haben zu schweigen? Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt.« Während sie sprach, blickte Müller Eins versonnen ins Nirgendwo.
»Sie wiederholen sich.« Egon-Erwin verspürte unbändige Lust auf eine Currywurst. »Bekommen Untersuchungshäftlinge eigentlich auch ein Frühstück serviert?«
»Wir hatten trockenes Brot und Bohnenkaffee im Angebot, aber das haben Sie ja, wie ich hörte, abgelehnt«, sagte Müller Zwo, der nur mühsam ein Grinsen unterdrücken konnte.
In diesem Moment klopfte es, und er wurde vor die Tür gerufen. Müller Eins rauchte und betrachtete das Aufnahmegerät. Wenig später kehrte Müller Zwo mit einem Endfünfziger zurück, der nichts anderes als ein Anwalt sein konnte. Der Anzug war in London geschneidert und die Schuhe waren in Budapest gefertigt worden. Der Aktenkoffer schien seit zehn Generationen vererbt zu sein und trug die Initialen des Inhabers. Das sorgsam zurückgekämmte schwarze Haupthaar glänzte und war frisch gefärbt worden.
»Sie haben einflussreiche Freunde, Herr Wutke. Die Kaution wurde beglichen, und alle erforderlichen Unterlagen liegen vor. Lassen Sie uns frühstücken gehen. Die Verpflegung in der U-Haft lässt doch zu wünschen übrig, höre ich. Wir besuchen jetzt den ›Heidkrug‹ in Lüneburg. Ich kenne den Inhaber, der Michelin-Sterne sammelt wie andere Rabattmarken. Dort wird man uns sicherlich mit offenen Armen aufnehmen. Ihr Jil-Sander-Kostüm steht Ihnen übrigens superb, gnädige Frau, auch wenn der Rock ein wenig zu knapp bemessen erscheint.« Der Anwalt musste Egon-Erwin aus dem Raum
Weitere Kostenlose Bücher