Ernten und Sterben (German Edition)
Hubertus vor einer massiven Holztür, die verschlossen war.
»Ein Königreich für einen Dietrich.« Hubertus fing an, nach einem Nagel zu suchen.
»Das klappt doch nie. Woher willst du wissen, ob wir damit die Tür aufbekommen?« Albertine beobachtete aufmerksam, wie Hubertus versuchte, einen rostigen Stift mit einem Stein in Form zu bringen. Weibliche Intuition lenkte ihren Blick auf einen umgedrehten Blumentopf neben der Treppe. Darunter lag der Schlüssel, offensichtlich ein Unikat aus dem letzten Jahrtausend. Es war ein barocker Hohlschlüssel aus Messing mit einem eindrucksvollen Bart.
»Sieh mal, was ich gefunden habe«, sagte sie zu Hubertus.
Der wollten seinen Augen nicht trauen und warf leise fluchend den Nagel zur Seite.
Albertine steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn beherzt um. Die Holztür öffnete sich lautlos, dank der offenbar gut geölten Scharniere. Ein Schwall modriger Luft schlug ihnen entgegen.
Hubertus hielt sich die Hand vor die Nase. »Puh, das müffelt aber gewaltig. Der Keller müsste mal grundsaniert werden. Ist ja das reinste Biotop, um Champignons zu züchten.« Er tastete an der Wand entlang. »Gibt es hier auch Licht?«
»Woher soll ich das wissen? Wir sind wirklich blutige Amateure. Haben keinen Dietrich, keine Taschenlampe, keine Handschuhe, kein … Ich weiß nicht, was noch alles. Da vorn ist übrigens ein Schalter. Dreh mal dran.«
Hubertus staunte nicht schlecht über den gut erhaltenen Bakelitschalter. Fast schien es so, als krieche der Strom in Zeitlupe durch die alten, brüchigen Leitungen. Vielleicht lag es aber auch an den Zwanzig-Watt-Birnen, die der sparsame Bürgermeister in die Fassungen gedreht hatte. Zumindest konnte Albertine jetzt erkennen, dass sich das Kellergewölbe vor ihnen teilte.
»Du geht’s den linken Gang, und ich nehm den rechten. Genug gejammert. Los geht’s!«, sagte sie.
Bürgermeister Focken war offensichtlich ein Messi. In einem Kellerraum war die komplette Einrichtung der historischen Poststelle gelagert, im nächsten standen alte Schulbänke aus Hartholz, verziert mit den Schnitzereien längst verstorbener Schüler. Dann entdecke Hubertus Fahrräder aus Stahl, gusseiserne Gartengeräte, Spielzeug aus Blech und vieles anderes mehr. Der Gang bis zur Hauswand war aus massivem Stein gemauert. Hubertus war erst enttäuscht, dann aber gehörig gelangweilt. Schließlich hatte er genug gesehen und ging zurück zu Albertine, die konzentriert eine Stahltür abtastete.
»Der Bürgermeister könnte ohne Weiteres ein Antiquitätengeschäft eröffnen. Allerdings müsste man diesen Schimmelpilz mühsam mit der Hand entfernen«, berichtete er. »Und was hast du entdeckt?«
»Diese Stahltür ist neu eingebaut worden. Und auch das Mauerwerk wurde erneuert und verstärkt. Nach einem Schlüssel müssen wir nicht suchen, das Türschloss hat ein Zahlenfeld und einen Fingerscan. Irgendetwas darin bewegt sich. Wenn man das Licht im Gang ausschaltet, kann man durch die Ritzen ein schwaches blaues Licht sehen. Mach mal bitte aus.« Albertine deutete auf den Bakelitschalter neben der Stahltür.
Hubertus hielt die Luft an und versuchte, sich zu konzentrieren. Er hörte ein schwaches, aber undefinierbares Geräusch, das überaus monoton wirkte.
»Sei bitte mal still. Ich höre noch etwas. Das wird immer deutlicher«, sagte Albertine.
»Könnte eine Entlüftungsanlage oder eine Art Nähmaschine im Dauerbetrieb sein.« Hubertus schüttelte den Kopf. »Aber das ergibt keinen Sinn …«
»Psst«, zischte Albertine.
Und dann hörte Hubertus es auch: ein immer lauter werdendes Klappern. Er wurde panisch. »Das kommt nicht aus dem Raum, das kommt von draußen. Und es ist keine Nähmaschine, das ist ein Pferd und die Kleine vom Bürgermeister. Was machen wir jetzt?« Hubertus’ Knie fingen an zu zittern.
»Wir machen das Licht aus, schließen die Tür ab und suchen das Weite.« Albertine tat vollkommen gelassen, als sei nichts weiter passiert.
Ohne Eile ging sie zurück zum Eingang. Hubertus drehte das Licht aus, und sie gingen in aller Ruhe die Treppe hoch. Albertine erschien genau in dem Moment im Hof, als Pia Focken, die Tochter des Bürgermeisters, von ihrem Pferd stieg. Sie trug einen Schutzhelm für Reiter, ein sportliches Shirt, aber auch eine enge Jeans, die in frisch geputzten Stiefeln steckte. Das sympathische Gesicht wurde umrahmt von einem blonden Pony. Make-up und Piercings waren nicht nach dem Geschmack dieses Teenagers, der sich in
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