Ernten und Sterben (German Edition)
tapferer erschien als das ganze Dorf. Die letzten Ehrerbietungen nahmen kein Ende. Albertine warf eine Rose auf den Sarg und Hubertus die obligatorische Handvoll Erde.
Der Leichenschmaus fand auf dem Dorfplatz statt, die Inhaber der »Heideblume« und des »Bärenkrugs« richteten die Feier aus. Aber keiner wollte mit dem Essen anfangen, die meisten hielten sich stumm an ihren Bierkrügen fest.
Die Bürgermeisterwitwe klopfte gegen ihr Glas, und sofort wurde es ruhig. Sie erhob sich. »Wenn ich einmal sterbe, hat Focken zu mir gesagt, dann sauft und fresst, als gäbe es kein Morgen. Das war sein Letzter Wille.« Sie goss ihr Glas randvoll und leerte es in einem Zug. »Also saufen und fressen wir jetzt!«
Applaus brandete auf, und befreiendes Gelächter war zu hören. Klein-Büchsen hatte wieder zu sich selbst gefunden.
Albertine, Hubertus und Egon-Erwin nahmen den Leichenschmaus bei der Landärztin zu Hause ein. Clementine war sehr nahe am Wasser gebaut und weinte lieber allein in die Töpfe als in der Öffentlichkeit. Pias Schicksal ging ihr mehr zu Herzen als das Ableben des Bürgermeisters. Sie hatte Schnittchen und den traditionellen Streuselkuchen vorbereitet, dazu gab es Bier und Kaffee. Ein Stapel Papierservietten ersetzte das Besteck. Immer noch sehr wortkarg saß man zusammen und dachte weniger an den Bürgermeister als an den Killer.
Egon-Erwin hatte auf der Beerdigung jeden Anwesenden fotografiert in der Hoffnung, ein vollkommen unbekanntes Gesicht zu entdecken. Ab und zu reichte er die Kamera in die Runde, aber er erntete nur Kopfschütteln.
»Ich möchte, dass du bitte in der Zeitung dieses traurige Ereignis gebührend würdigst. Keine Mutmaßungen über den Mörder, keine haltlosen Übertreibungen und bitte keinerlei Sarkasmus. Dein letzter Artikel über das Attentat war kaum zu ertragen. Man muss nicht alles bis ins letzte blutige Detail beschreiben, nur um die Auflage zu steigern.« Albertine faltete ihre Serviette zusammen und zeigte direkt auf Egon-Erwin, der sich gerade ein neues Schnittchen gegriffen hatte. »Sir John ist übrigens meiner Meinung.«
Egon-Erwin nickte schuldbewusst. Sir John hatte ihn schon ermahnt, wenn auch mit einem Augenzwinkern. Albertine schien doch einen gewissen Einfluss auf den Herausgeber auszuüben.
»Es wird uns nichts anderes übrig bleiben: Wir müssen uns das Forsthaus einmal aus der Nähe ansehen. Sollten wir Horst Wild dabei begegnen, müssen wir vor allem ruhig bleiben und jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Und du«, Albertine deutete auf Egon-Erwin, »legst besser mal eine Pause ein. Was hältst du von einem kleinen Ausflug, Hubertus?«
Der nickte über den Rand seiner Kaffeetasse, doch Albertine entging nicht, dass er dabei die Augen rollte.
fünfzehn
Am nächsten Morgen hielt Hubertus mit seinem alten Saab 99 pünktlich vor Albertines Haustür. Das war natürlich für ihn als direkter Nachbar kein Kunststück. Albertine wartete schon am Gartentor auf ihn. Sie sah aus wie das blühende Leben auf dem Weg in die Sommerfrische. Hubertus liebte es, wenn sie sich volkstümlich anzog. Die pommersche Tracht bestand aus einem weißen Leinenhemd, einem Schnürleib und einem schwarz-blauen Kantenrock mit rotem Rand. Auch das bestickte Umlegetuch und die blütenweiße Schürze fehlten nicht.
»Du siehst bezaubernd aus«, sagte er, als Albertine einstieg und ihr farbenfrohes Kleid zurechtstrich.
»Ich weiß.« Galant setzte sie sich eine große Sonnenbrille auf.
Hubertus kannte zwar den kürzesten Weg zum Wald, hatte aber nur eine vage Vorstellung, wie man zur Försterei kam. Also hielt er Ausschau nach dem breitesten landwirtschaftlichen Weg mit den höchsten Holzstapeln. Die Suche war relativ schnell beendet. Hinter einer nicht verschlossenen Schranke für den Forstverkehr parkte Hubertus seinen Saab so, dass ihm landwirtschaftliche Maschinen keine Beulen in die Seite fahren konnten. Während sich Albertine sportive Wanderschuhe angezogen hatte, quälte sich Hubertus über die Unebenheiten des Weges in sündhaft teuren Budapestern.
Das Forsthaus stand in der Mitte einer Lichtung, die im magischen Licht der Sonne wie verzaubert wirkte. Es war ein zwischen den Bäumen geduckt wirkendes Fachwerkhaus, das mit seinem Reetdach einem fernen Jahrhundert entsprungen zu sein schien.
»Fehlt nur noch die Hexe. Wir geben ja als Hänsel und Gretel schon eine ganz gute Figur ab«, sagte Hubertus.
»Nur mit dem Unterschied, dass du eindeutig zu fett bist und
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