Ernten und Sterben (German Edition)
der Polizei den Rest überlassen?«
»Auf gar keinen Fall.« Egon-Erwin betonte jedes Wort und schüttelte dazu noch heftig den Kopf. »Denk daran, was diese Story für meine Karriere bedeutet. Außerdem befindet sich das Kommissariat in Auflösung. Blaumilch bricht seine Kur nicht ab, Müller Eins fährt in den Urlaub, und die Staatsanwältin hat die Sonderkommission eingeschrumpft.«
Hubertus hatte inzwischen sein Handy gezückt und rief den Bürgermeister an. »Hallo, Herr …« – »Nein, Herr …« – »Wieso, Herr …?« – »Na gut, Herr …« Er beendete das Gespräch und sagte: »Morgen um zehn Uhr und nicht länger als eine Viertelstunde. Außerdem muss Egon-Erwin in seinem Beisein alle Fotos löschen, auf denen Focken zu sehen ist. Du hast hoffentlich schon eine Sicherungskopie gemacht.«
Egon-Erwin schnaufte und nickte nur stumm.
»Darauf einen Schnaps«, sagte Albertine und hob ihr Glas.
dreizehn
Am nächsten Morgen standen Albertine, Hubertus, Clementine und Egon-Erwin auf dem Hof vom Bürgermeister und sagten kein Wort.
»Na, die Herrschaften sehen ja so aus, als ob sie gestern alle zusammen zu tief ins Glas geschaut hätten. Alkoholmissbrauch ist keine schöne Sache. Eine Ärztin wie Sie, gnädige Frau, müsste doch ein Vorbild sein«, begrüßte sie Focken.
»Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Nettigkeiten können wir später austauschen«, brummte Albertine eine Oktave tiefer als gewohnt.
»Erst einmal werden die Fotos gelöscht.« Focken schlug die Arme über der Brust zusammen.
»Nein«, sagte Egon-Erwin, der sich die Schläfen massierte. »Erst wenn Sie geliefert haben. Das haben wir am Telefon so vereinbart.«
»Ich stelle hier die Regeln auf, das müsstest du eigentlich am besten wissen, du Möchtergern-Reporter«, fuhr Focken ihn an. »Lösch jetzt die Bilder, oder ich geh wieder an meinen Schreibtisch.«
»Kühlschrank, Focken! Kühlschrank! Du bist doch hier der größte Alki im Ort.« Egon-Erwin konnte sich nur mühsam beherrschen. »Komm her. Ich zeig dir, wie’s geht, und dann kannst du selbst entscheiden.«
Focken nahm das Meisterwerk japanischer Herkunft in seine klobigen Hände und drückte in atemberaubender Geschwindigkeit ein paar Knöpfe. Mit einem Grinsen gab er die Spiegelreflexkamera zurück an Egon-Erwin, der sie Schlimmes ahnend in Empfang nahm.
»Das ist doch zum Kotzen, Focken«, sagte er nach wenigen Sekunden. »Du hast meine Speicherkarte neu formatiert. Alle Bilder sind damit für immer gelöscht. Wenn die Kamera nicht so teuer gewesen wäre, würde ich dir damit jetzt ein Loch in deinen Bauernschädel schlagen. Arschloch, blödes …« Egon-Erwin blieben die Schimpfwörter im Hals stecken.
»Und jetzt will ich die Sicherheitskopie haben, und zwar pronto.« Focken streckte den rechten Arm aus.
Egon-Erwin wühlte in seiner Kameratasche herum und gab ihm eine DVD .
Der drehte flugs die Speicherscheibe um und zerkratzte die empfindliche Oberfläche mit seinem Hausschlüssel. Egon-Erwin stöhnte wie unter Folter, sagte aber kein Wort.
»Ach was, da machen wir doch einfach kurzen Prozess.« Focken warf die DVD in den Staub, um sie mit seinen klobigen Arbeitsschuhen zu zertreten.
Und dann fiel er um. Wie ein Baum, der gefällt wurde. Als hätte man ihm die Füße weggehackt. Egon-Erwin sah alles wie in Zeitlupe, riss die Kamera hoch und konnte gerade noch den Moment fotografieren, als der Bürgermeister mit dem Rücken aufschlug und mit dem Kopf hart auf die Erde knallte. Der Körper absorbierte die gewaltige Energie, dann pulsierte eine Schockwelle durch den Leib, und schließlich lag Focken ganz still da.
Albertine hielt sich den Mund zu, als nur noch das satte Klacken der Kamera zu hören war. Sie hatte als Erste das Blut am Hinterkopf des Bürgermeisters wahrgenommen und auch die Deformation des Schädels, dessen Inhalt sich jetzt auf dem Boden ausbreitete. Hubertus konnte den Blick nicht von dem sauberen Loch zwischen Fockens Augen direkt über dem Nasenbein abwenden. Es sah aus wie gestanzt. Ein sauberer und zugleich perfekter Durchschusskanal. Nur Clementine verhielt sich menschlich und drehte sich zur Seite, um ihr Frühstück zu erbrechen.
Endlos lang unterbrach kein Ton die plötzliche Stille im Hof, dann hörten sie Hufgeklapper. Clementine reagierte als Erste und lief zu Pia, die mit Black Beauty in den Hof geritten kam. Sie half dem Mädchen aus dem Sattel, nahm sie zärtlich in die Arme und führte sie ins Haus. Pias Schluchzen war
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