Ernten und Sterben (German Edition)
Dollar wert war und gerade auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas vorgestellt worden war. Die Hightech-Flinte musste zwar nach jedem Schuss nachgeladen werden, doch es handelte sich um ein digital gesteuertes Mordwerkzeug. Lagesensoren, Kompass, Mikroskop und ein integrierter WiFi-Server gehörten zur Standardausrüstung. Darüber hinaus waren Laserentfernungsmesser, Digitalkameras sowie Temperatur- und Drucksensoren eingebaut. Erschien das Zielobjekt im Sichtbereich, wurde es virtuell markiert. Nun übernahm das Gewehr die vollkommene Kontrolle und informierte den Schützen über den richtigen Augenblick zum Abdrücken. Solche Waffensysteme sorgten gerade im Internet für große Aufregung.
Die Patronenhülse lag gut sichtbar neben dem Gewehr auf dem Waldboden. Kampnagel berührte sie nicht, sondern holte stattdessen ihr Handy aus der Handtasche.
»Kommt bitte gleich hierher und sichert die Tatwaffe. Ihr werdet nicht glauben, was hier im Unterholz steht«, informierte sie ihre Kollegen von der KTU , die wenig später eintrafen.
Wenn das nicht ein Zeichen der absoluten Überlegenheit ist, dachte Kampnagel und schüttelte angesichts der Arroganz des Killers den Kopf.
Nachdenklich ging sie zu Müller Zwo zurück, der ein wenig verloren den Leichnam des Bürgermeisters bewachte. Albertine, Egon-Erwin und Hubertus hatten darum gebeten, vorübergehend den Tatort verlassen zu dürfen.
Kampnagel stellte sich neben ihn. »Ich glaube, dass wir den Killer nur mit Hilfe der Landärztin und ihren Freunden überführen können. Mich würde interessieren, woher der Killer wusste, dass sie sich genau um diese Uhrzeit hier treffen würden. Aber wahrscheinlich hat er ihre Handys überwacht. Im Internet wimmelt es nur so von geeigneter Software.« Sie starrte auf die Pferdedecke, um deren Kopfende herum sich allmählich eine feuchte Pfütze bildete.
»Sie überraschen mich immer wieder aufs Neue, Susanne«, sagte Müller Zwo. »Aber denken Sie bitte daran, dass nur ich die Kompetenz habe, Entscheidungen zu fällen. Ich möchte Sie bitten, dass wir den Fall gemeinsam lösen. Ich kann sehr viel von Ihnen lernen, und vielleicht kann ich Ihnen ja auch etwas beibringen.«
Es war Müller Zwo anzumerken, wie ernst es ihm bei diesen Worten war. Kampnagel nickte, ohne ein Wort zu sagen.
Nachdem der Leichnam abtransportiert war, nahmen sie Clementine im Streifenwagen mit und setzten sie an Albertines Haus ab.
Auf der Fahrt zur Dienststelle fragte Kampnagel betont freundlich: »Aber ich darf Sie doch immer noch Müller Zwo nennen?«
Müller Zwo lächelte versonnen.
vierzehn
Die Beerdigung von Bürgermeister Focken stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Vor der Dorfkirche stand der Schützenverein Spalier, und der Spielmannszug bereitete sich für die letzten Meter bis zur Grabstelle vor.
Albertine und Hubertus standen etwas abseits, während Egon-Erwin seinen Job erledigte. Er fotografierte den Beerdigungszug zum Grab. Dann die Witwe und ihre Tochter, nahe Verwandte und die Honoratioren von Klein-Büchsen, das sich vollständig auf dem kleinen Friedhof zusammengefunden hatte. Der Situation angemessen, waren kaum Gespräche zu hören. Auch hatte niemand die drei angesprochen, auch in den Tagen zuvor waren sie weitgehend ignoriert worden. Albertine hatte sich gefragt, ob sie nun von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen worden war, und bereitete sich innerlich schon auf den Umzug zurück nach Hamburg vor. Die Vorstellung stimmte sie traurig, wenn nicht sogar ein wenig depressiv. Hubertus hatte alles getan, um ihre Laune zu verbessern, aber auch er haderte mit seinem Schicksal. Bürgermeister Focken war ihm immer unsympathisch gewesen, aber eigentlich als Mensch egal. Doch dieser eiskalte Mord ließ ihn nicht unberührt, weil er zutiefst menschenverachtend und zynisch ausgeführt worden war. Genau wie die anderen vier Morde. Früher war der Begriff Rache etwas sehr Abstraktes gewesen, nun wusste Hubertus, wie es sich anfühlte zu hassen. Und er hasste den Killer aus tiefstem Herzen. Als der Sarg hinausgetragen wurde, schwor er ewige Rache.
Albertine, die sich bei ihm untergehakt hatte, weinte tonlos.
Der Ehrensalut zerriss die Stille, und die letzten Worte des Pfarrers am offenen Grab verfehlten ihre Wirkung nicht. Ein leises Schluchzen war zu hören, dezent in Taschentücher geschnäuzt. Betretene Mienen ringsherum und ungläubiges Kopfschütteln waren zu sehen. Die Witwe wurde von ihrer Tochter gestützt, die
Weitere Kostenlose Bücher