Ernten und Sterben (German Edition)
dein Finger zwischen keine Gitterstäbe passen würde.« Albertine strich wie zur Bestätigung das Kleid über ihren schlanken Hüften glatt.
»Ich bin wirklich beruhigt, dass du wieder zu alter Form findest.« Albertines Sticheleien konnten Hubertus nicht die gute Laune verderben. »Ich hatte bei der Beerdigung schon Angst, dass du langsam trübsinnig wirst.«
Das Haus sah vollkommen verlassen aus, kein Licht brannte, keine Bewegung war zu erkennen. Und es stand auch kein Auto vor der Haustür.
»Sieht ja vollkommen verlassen aus. Wir klingeln pro forma, und dann sehen wir uns das Hexenhäuschen mal genauer an.« Albertine trat vor die Tür und schaute sich nach beiden Seiten um.
Es öffnete niemand, was auch kein Wunder war, denn sie hatten ihre Anwesenheit ja noch nicht lautstark bemerkbar gemacht. Vor der Haustür hing eine Glocke in Form eines Hirschkopfes. Albertine zog einmal daran, das altertümliche Läutwerk aus Roheisen klang ziemlich rostig. Immer noch war niemand zu sehen oder zu hören. Albertine ging die Stirnseite des Forsthauses ab und blickte durch jedes Fenster.
Die Einrichtung sah aus wie direkt vom Heimatmuseum ausgeliehen. Ohrensessel mit gehäkelten Deckchen als Kopfschoner, Jagdtrophäen an der Wand, Kachelofen, antike Schränke und Kommoden. Ein Waffenschrank mit uralten Flinten hinter Glas und natürlich eine monströse Anrichte. In der Küche wurde noch auf einem Herd gekocht, der mit Holz befeuert wurde, und der Kessel im Badezimmer funktionierte anscheinend nach demselben Prinzip.
»Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass hier ein Sniper mit einer Hightech-Macke wohnt«, sagte Albertine.
»Stille Wasser sind ja bekanntlich tief.« Mehr fiel Hubertus auch nicht mehr ein.
»Wir müssen herausfinden, ob es hier einen Keller gibt.«
»Das ist schnell beantwortet.« Hubertus deutete auf die vergitterten Fenster im Sockel, die hinter schmalen Lichtschächten versteckt lagen. Alle Fenster waren im Laufe der Jahrzehnte blind geworden und ließen keine Blicke ins dunkle Innere zu. Nur auf der Rückseite des Hauses gab es drei nebeneinanderliegende Luken, die mit irgendetwas abgeklebt waren.
»Dahinter könnte der Folterkeller sein. Mach doch mal mit deinem Handy ein paar Fotos«, sagte Albertine zu Hubertus, dessen Hände dezent zitterten, was sich wiederum auf die Schärfe der Aufnahmen auswirkte.
»Wie kommen wir da nur rein?« Albertine kniete auf dem Boden und versuchte, mit den Fingern in die Luken zu greifen. Ohne Erfolg.
»Durch die Haustür«, sagte Hubertus. »Hier gibt es keine außen liegende Kellertreppe. Und ich habe keine Lust, von dem Verrückten erwischt zu werden. Du weißt ja, wie das endet. Denk an Gunnar.« Ihm lief es kalt über den Rücken.
»Ich habe genug gesehen. Lass uns nach Hause fahren. Vielleicht verwöhnt uns ja Clementine mit einem Brunch.« Albertine erhob sich und klopfte sich unsichtbare Erdkrümel vom Kleid.
»Ich frage mich ernsthaft, wie du bei dieser Völlerei deine Figur halten kannst.«
»Du sollest es mal mit Gartenarbeit versuchen. Die wirkt Wunder.« Albertine war schon fast beim Auto. »Wein soll übrigens auch eine Kalorienbombe sein«, setzte sie mit einem vielsagenden Blick hinzu.
Doch aus dem Brunch wurde nichts. Als Albertine ihre Praxis betrat, war das Wartezimmer überfüllt. Clementine hatte Mühe, die wartenden Patienten zu beruhigen.
»Es gibt also doch noch Gerechtigkeit.« Albertine zog sich schnell ihren weißen Kittel an.
»Der Nächste, bitte!«, rief sie, kaum war sie in ihrem Behandlungszimmer.
Bäuerin Schlüter schlurfte herein und stützte mit der rechten Hand die Hüfte.
»Ist es wieder das Kreuz?« Albertine brauchte keine Krankenakte, sie kannte ihre Patienten schließlich seit Jahren.
»Keine Ahnung«, stöhnte die Bäuerin. »Vielleicht hat’s ja an der Kuh gelegen. Wir haben sie ja sofort geschlachtet. Das war kein Spaß, außerdem hatte die Helga so ein sanftes Wesen. Das hat sich auf meine Seele ausgewirkt. Und mein Mann ist ja so ein Holzkopf, den interessiert ja nur seine Milchbilanz.«
»Dann schicken Sie den doch mal her. Das renken wir dann schon ein.« Albertine zeigte auf die Liege. »Lassen Sie mich mal kontrollieren, ob es ein richtiger Hexenschuss ist oder auch die Psyche.«
Unter großem Wehklagen und vielen Auas ließ sich Bäuerin Schlüter abtasten. Wie immer war es die Psyche, denn das Leben als Landwirtin war monoton und schwer. Außerdem war Bauer Schlüter tatsächlich ein
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