Ernteopfer
Zimmer.
»Hör mal, Stefanie. Es ist leider etwas dazwischen ge kommen. Willst du wirklich keinen Kaffee?«
»Was ist dir denn dazwischengekommen? Hat sich in dieser friedvollen pfälzischen Idylle wieder mal jemand umbringen lassen?«
Ich schluckte.
»Ja, genau so war es. Am Freitag wurde einem polni schen Erntehelfer der Schädel eingeschlagen.«
»Aha, da haben wir es schon. Statt mir die Wahrheit zu sagen, hast du trotzdem die Kinder bei mir abgeholt. Warum hast du mir nichts davon gesagt? Hattest du etwa Angst, dass ich dich vor Wut vom Balkon werfe?«
»Ach, weißt du«, versuchte ich sie zu besänftigen. »Das ist irgendwie blöd gelaufen. Du hast mich nicht ausreden lassen und hast dich so darüber gefreut, zu deiner Mutter zu fahren, und darüber, dass ich Paul und Melanie schon früher abhole.«
Ich bemerkte, dass Stefanie kurz vor einem Wutaus bruch stand.
»Stattdessen nimmst du unsere Kinder lieber zu einer Morduntersuchung mit. Willst du sie etwa traumatisie ren? Wo bist du mit ihnen heute schon überall gewe sen?«
Jetzt war es endgültig um mich geschehen. Was sollte ich darauf nur antworten?
Sie kannte mich, ich hatte zu lange mit einer Antwort gezögert.
»Nun sag schon! Oder muss ich erst Jutta anrufen, um die Wahrheit zu erfahren?«
»Okay, wenn du es unbedingt wissen willst, wir waren gerade auf dem Friedhof wegen der Obduktion.«
»Wegen der Obduktion?«, schrie sie los. »Sag mal, spinnst du? Du kannst doch die Kinder nicht zum Lei chenaufschnippeln mitnehmen!«
»He Stefanie, reg dich nicht auf. Die haben doch fried lich im Auto gesessen und brav auf mich gewartet.«
»Und was hast du ihnen erzählt, warum du da auf dem Friedhof warst? Etwa zum Blumengießen?«
Meine Frau raste.
»Und was willst du als Nächstes mit ihnen unterneh men? Eine Hausdurchsuchung statt eines Schwimmbad besuchs? Einen Drogenhändlerring sprengen? Schau doch bloß, wie es hier aussieht. Eine Woche bei dir und die bei den wären fettsüchtig.«
Mich hier auf eine Diskussion einzulassen, wäre zweck los gewesen. Also musste ich sie wieder auf andere Ge danken bringen.
»Erzähl mal, warum bist du eigentlich hier? Ist was mit deiner Mutter passiert?«
Stefanie fiel auf das Ablenkungsmanöver rein. Dachte ich jedenfalls.
»Richtig, mit meiner Mutter ist was passiert. Sie ist stinksauer auf dich, genau wie ich. Heute Morgen habe ich die Zeitung gelesen und stolperte über den Artikel ›Mord in Schifferstadt‹. Da war nur noch ein kurzer Anruf bei dei nen Kollegen nötig und ich wusste Bescheid. Ich habe mich dann sofort ins Auto gesetzt und bin zurückgefahren.«
Ich schluckte wieder.
»Und was sollen wir nun machen?«
»Was du machst, weiß ich nicht. Ich nehme jetzt auf alle Fälle die Kinder mit.«
»Wie bitte? Das kannst du doch nicht ma…, äh, denk doch mal an …«
Blöde Sache, wenn einem mehrere Gedanken gleichzeitig durch den Kopf jagen und man dabei gleichzeitig versucht, diese zu artikulieren. Ich brach mein hilfloses Gestammel ab. Stefanie hatte ja recht. Für die Kinder war das nur eine Belastung. Und wenn ich ehrlich war, für mich auch.
»Meinetwegen. Kann ich Paul und Melanie dafür nächs tes Wochenende zu mir holen?«
»Wie bitte? Nächste Woche? Welche Leiche zieht ihr dann aus dem Keller? Seit wir hier wohnen, hat sich die von mir gefühlte Kapitalverbrechensquote bestimmt verzehn facht. Mensch, Reiner, hör auf so langfristig zu denken, solange du noch diesem verdammten Job nachgehst.«
Sie lief nach oben, um die Kinder zu holen. Als sie mit ihnen wieder runterkam, dachte ich, dass Melanie und Paul mich jetzt nicht mal mehr ansehen würden. Doch falsch gedacht, stattdessen schimpften sie mit ihrer Mutter.
»Mama, wir wollen hier bleiben. Wir sollen Papa dabei helfen, den Mörder zu fangen«, bettelte Paul.
»Paul, erzähl Mama aber lieber nicht, was du mit dem Kopierer auf der Wache gemacht hast«, flüsterte seine Schwester etwas zu laut.
Stefanie sah mich kurz entgeistert an, schnappte dann die Kinder und verließ mit einem kurzen Gruß das Haus. Ich schaute ihrem Auto nach, bis es hinter der nächsten Kurve verschwunden war.
Saublöder Zeitpunkt, dachte ich mir. Es war später Nachmittag und es gab aktuell nichts zu tun. Immer vor ausgesetzt, das Telefon klingelte nicht. Wenn Stefanie nicht gekommen wäre, hätte ich morgen mit den Kindern was unternehmen können. Wir hätten nach Mannheim ins Lan desmuseum für Technik und Arbeit fahren können. Da konnten die
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