Eroberer der Unendlichkeit
geistesabwesend vor mich hin, während um mich die verdammte Mars-Post versank. Vier Jahre waren es jetzt her, seit Dr. Gryce zum erstenmal nach mir geschickt hatte.
Der junge Grante am Schreibtisch nebenan sortierte seine amtlichen Mitteilungen, die eben mit der Venus-Post gekommen waren. Ich wandte mich an ihn.
»Ich gehe«, sagte ich ihm. »Ich habe jetzt keine Zeit für lange Debatten – sagen Sie bitte Nummer 4, daß mein Posten frei wird.«
Er hob die Augenbrauen.
»Frei?«
»Ja. Ich gehe weg.« Ich hatte mich bereits erhoben. Als ich das Zimmer verließ, spürte ich seine erstaunten Blicke im Rücken. Nach zehn Minuten saß ich im Pneumozug und raste auf das Gebiet von Südpennsylvania zu.
Martt und Frannie erwarteten mich am Tor. Ich hatte mir vorgestellt, daß sie erregt sein würden, aber ihr ernstes, düsteres Begrüßungslächeln, ihre unwillkürlichen Blicke zu dem kleinen Haus, das sich an den Hügel schmiegte, weckten böse Vorahnungen in mir.
»Vielen Dank, daß du gekommen bist, Frank«, sagte Martt. »Vater – wartet auf dich.« Seine Stimme klang merkwürdig gebrochen.
An der Haustür blieb Martt stehen und sah mich mit seinen blauen Augen ernst an. »Vater ist oben, Frank. Er – liegt im Sterben. Er will dich aber unbedingt noch begrüßen.«
In dem verdunkelten Raum sah ich zuerst Dr. Gryces Kopf mit dem schütteren, schneeweißen Haar. Obwohl er zugedeckt war, konnte man ahnen, wie ausgezehrt sein Körper war.
»Frank ist hier, Vater«, sagte Martt leise. »Siehst du, er ist doch noch rechtzeitig gekommen.«
Der Kopf war der Wand zugekehrt. Er rührte sich nicht. Durch den zerbrechlich dünnen Körper ging nicht die geringste Bewegung.
Martt stieß einen Schrei aus. Zusammen mit Frannie rannte er auf das Bett zu. Es war nichts mehr zu machen. Einen Augenblick später stand Martt auf und lehnte sich an den Bettpfosten, die Hand vor den Augen. Frannie kniete neben dem Bett und schluchzte.
Jeder von uns sieht sich mehrmals im Lauf seines Lebens einmal einem Toten gegenüber, aber immer wieder sind wir schockiert und entsetzt. Es ist wohl der Lebensinhalt selbst, der diese Gefühle in uns erzeugt. Lange Zeit rührten sich die Kinder von Dr. Gryce nicht. Sie sagten kein Wort.
Dann sprang Frannie auf. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, aber sie schluchzte nicht mehr. Ihre Augen brannten.
»Martt! Sein letzter Wunsch – seine letzten Worte waren, daß wir nach Brett suchen sollten. Ich mache mich auf den Weg – und du kommst mit, Martt. Das müssen wir. Oh, Frank, du wirst uns doch nicht allein lassen, oder? Bitte, komm mit!«
Die Beerdigung war vorüber. Wir saßen zum letztenmal in Dr. Gryces Arbeitszimmer und besprachen unseren Plan.
»Aber, Matt«, sagte ich, »Bretts Transporter war sehr kompliziert. Er konnte im Raum und in der Zeit reisen, und er konnte seine Größe verändern. Er war durch die geniale Idee deines Vaters entstanden. Aber wir – wir können ihn nicht nachbauen …«
»Denk doch nach, Frank!« unterbrach ich mich. »Als du damals zum erstenmal herkamst, zeigten wir dir die Modelle des Transporters. Es waren vier …«
Da erinnerte ich mich wieder. Dr. Gryce hatte mir vier kleine Modelle gezeigt. Eines hatte er in die Vergangenheit gesandt, in eine andere Zeit. Es nahm immer noch den gleichen Platz auf dem Hocker ein, aber die Jahrhunderte, die zwischen ihm und mir lagen, verbargen es vor meinen Augen.
Das zweite Modell war bei unveränderter Zeit in eine unendliche Kleinheit verwandelt worden. Ich mußte daran denken, wie ich es beobachtet hatte. Immer kleiner war es geworden, bis ich es nicht einmal mehr im Mikroskop erkennen konnte.
Zwei Modelle waren übriggeblieben. Martt und Frannie, damals siebzehn Jahre alt, hatten eines in den Garten getragen und seine Größe verändern wollen. Ich weiß noch, wie sehr wir uns abmühten, um das Wachstum wieder einzudämmen und das Haus vor der Zerstörung zu bewahren. In diesem Modell hatten Martt und Brett die Riesenwelt besucht, und Brett hatte es auch bei seiner zweiten Reise benutzt.
Ein Modell war noch da. Ich hörte das Ende von Martts Satz: »… und wir haben immer noch das letzte Modell. Vater hat es sorgfältig aufgehoben. Es ist hier.«
Er öffnete einen verschlossenen Stahlkasten. Ich starrte schweigend den kleinen Würfel aus dem milchweißen Metall an – ein Würfel von der Länge meines Unterarms, mit seinem winzigen Turm an der Spitze, seinem glasartigen Balkon, seinen Fenstern und
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