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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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sie je in so eine Lage käme – danach das übliche Lachen, als sei alles ein Witz. Und wenige Wochen vor seinem Tod hat er all ihre Briefe zu seiner Mutter geschafft und offenbar überhaupt vieles Verräterische, das er ja auch hätte verbrennen können, wie er es für sich selbst vorgesehen hatte. Etwas sollte ihn also überdauern; Genaueres wusste auch A. nicht. Nur auf die Fragen zu früher, die für sie Fragen zu gestern waren, gab es Antworten wie unter Eid, leise und klar, und ohne dass ihr Knistern in der Stimme verschwand.
    Abendessen mit J. U., dem Verlegerfreund, der das neue Buch seines Autors auspackt, und der lässt es gleich unter dem Tisch verschwinden wie etwas Unanständiges, obwohl gerade dieses Buch, Die kleine Garbo , gänzlich jugendfrei ist. Wir sitzen draußen, die Leute essen und sehen dabei Fußball, Portugal spielt, aber nicht alle sehen hin; am Nebentisch ein nicht mehr junges verliebtes Paar, das den Verlegerfreund beschäftigt. Zwei Erwachsene, die Händchen halten, sich immer wieder beinahe küssen, Auge in Auge – kaum mitanzuschauen und gerade darum tut man’s. Das Ausgeglichene dieser Verliebheit, die Balance zwischen Frau und Mann oder Mann und Frau lässt dem Freund keine Ruhe, er weist mich flüsternd auf die beiden hin, schaut hinüber und lächelt, trinkt einen Schluck und schaut schon wieder. Er nimmt regen Anteil, wie man sagt, eine Art fassungsloses Mitglück, sogar noch in dem Augenblick, als Figo fast ein Tor geschossen hätte.
    Siebzehnter Juni, vormals Tag der Deutschen Einheit, an die keiner geglaubt hatte, wenn wir abends vor einem wehrhaften Feuer die Reden der Lehrer, die aus dem Osten geflohen waren, ertrugen. Ganz am Rand der versammelten Schülerschaft standen M. und ich auf dem Sportplatz mit dem Feuer in der Mitte und hörten unserem später, mit dem Aufkommen neuer alter Geistesgötter, Marx-Bloch-Marcuse, so weitsichtigen, das Neototalitäre ahnenden Dr. B. zu, der in seiner Vaterlandsrede mit hochrotem Kopf die Ostzonendiktatur geißelte, worüber wir nur lachen konnten. Ein gelöstes, unbeschwertes Lachen nach einem freien Sonnentag auf dem Untersee; die Heimleitung hatte ein kleines Schiff gechartert, und M. und ich hatten diesen Junitag auf dem Kajütendach verbracht. Wir haben uns gegenseitig eingecremt, immer wieder und stöhnend vor Behagen, bis sich auch zwei aus einer höheren Klasse, zwei in Badeanzügen, von uns ihre Schultern und Rückenausschnitte eincremen ließen, ein Akt der Herablassung, obwohl sie dafür aufs Kajütendach geklettert waren. Und zur Erinnerung an diesen siebzehnten Juni gehört auch das Freundesgrinsen, als am Abend das Feuer brannte und die DDR samt Walter Ulbricht gleichsam den Flammen übergeben wurde, während wir uns schon langsam nach hinten absetzten, die beiden im Auge, die sich haben eincremen lassen, und die auch jetzt, als alle anderen das komplette Deutschlandlied sangen, Entgegenkommen zeigten, indem sie sich uns anschlossen, hin zu den Büschen zwischen Sportplatz und Badewiese, wo M. schon sein kleines mobiles Tonbandgerät – frühester Vorläufer von Walkman und iPod – vorsichtshalber bereit gestellt hatte, mit Tribute to Buddy Holly am Anfang, der Totenhymne jener Jahre.
    Einmal hatten wir noch über diesen Abend gesprochen, in M.’s japanischem Müllauto, dem Aschenbecher auf vier Rädern, mit dem billigen Kassettenrecorder und der einzigartigen Musiksammlung, und er sagte, das Gefühl von damals, sei noch genau dasselbe, und auch die damit verbundenen Wünsche seien noch genau dieselben. Und dann kam er darauf zurück, wie wir mit den beiden in den Büschen waren und dort nur den Duft der Haare aufnahmen, und die Hitze, die ihre Haut nach dem Sonnentag aussandte, und das Leuchten der Wangen im Feuerschein, der durch die Zweige bis in unser Versteck drang; ein Beschwören in wenigen Sätzen, während wir die frühere Stalin-Allee entlangfuhren und Cesária Évora ihre Cabo-verde -Lieder sang, ein Nicht-vergessen-Können und immer noch Wünschen, die Hand mit Zigarette auf dem aschfahlen Kopf, die andere am Lenker. Man wird nicht seriös, nur weil das Haar am Ende etwas Wattehaftes bekommt und alles Aufsässige verliert; die Wünsche altern nicht mit, wir haben uns selbst am Hals, ein Wünschen bis zum Gehtnichtmehr – M. hatte das vorhergesehen, und zuletzt waren ihm die jungen Wünsche im alten Schädel wohl unerträglich.
    Weiterhin, stur, schönstes Wetter. Arbeit an dem Begrüßungswort für die

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