Eros und Asche
oder Naivste, verloren wäre, dann hat sich der Fotograf Hansi Krauss auf dieses Prinzip einmal zu viel verlassen, während ich es ausschöpfte, ohne es zu wissen).
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Der Verfall einer ganzen Stadt, ihre sich selbst überlassene Pracht, die jedem offen steht, der ein Dach sucht, ganzen Familien, die in staubigen Sälen hausen, Verrückten mit Logenplatz in einem Theater, das keiner mehr bespielt, und einem Heer von Hunden und Katzen, das sich über leere Hotelhallen und bröckelnde Freitreppen verteilt, hat für Augenmenschen (auch wenn die Augen wenig taugen) etwas höchst Anziehendes, also wurde Havanna zu einem natürlichen Ziel. Schon in der Schule hatten M. und ich über diese Stadt viel gesprochen, aber nicht als Ort des Verfalls, sondern des Aufstiegs aus dem Zerrütteten der Batista-Zeit, und später fiel dieser Name immer wieder und bekam, mit Ende der Sowjetunion und ihrer Bruderhilfe, mehr und mehr einen Klang wie die Namen sagenumwobener Frauen. Und als ich an einem windigen Februarabend auf gut Glück von der einstigen Prachtuferstraße aus in Berlin anrief, so wie versprochen – ich stand zwischen Hunden und Katzen unter den Colonaden ohne Cafés oder Gucci und Co. und sah über den von alten blassroten Buicks und Chevys befahrenen Malecón zur Ufermauer mit den Verliebten, dicht an dicht, kreischend wie die Möwen, wenn ein Brecher bis nach oben schoss –, sagte M. als allererstes: Du hast mich nicht mitgenommen. Er hatte schon im Bett gelegen, rauchend und lesend, und war dann angeblich aufgestanden, um in einer wacheren Verfassung zu telefonieren, nur wurde es gar kein langes Gespräch, wie sonst – dem stand die Vernunft des Anrufers entgegen –, aber ein dringliches, als wär’s darum gegangen, Leben zu retten. Wo ich sei, fragte er, wie es dort aussehe, und worauf ich im Moment gerade schaue, und ich sprach von den Colonaden, von denen der Putz abblättere, wie eine Haut nach Sonnenbrand, und von den alten Schlitten auf dem Malecón, etwa einem minzgrünen achtundfünfziger Pontiak Super Chief, der gerade vorbeifahre, mit seinem Jahrgang auf dem Nummernschild. Aber eigentlich, sagte ich, sei da nur ein kleiner knochiger Hund neben mir auf einem Plastikstuhl, das Fell graugelb wie die leeren Gebäude, und er wollte eine genaue Beschreibung, Augen, Nase, Schwanz, die Pfoten, die Ohren, die Haltung, und ich sagte, das werde zu teuer, und erzählte ihm noch von den kreischenden Pärchen, wenn die Brecher spritzten, und er bat mich, die Straße zu überqueren – um diese Feierabendzeit ein Himmelfahrtskommando. Aber er wollte die Brecher und das Kreischen hören, und ich hielt das silbrige Telefon Richtung Meer, im Vertrauen auf seine Fantasie und die kubanische Mobilfunktechnik, dann rief ich, wir sollten Schluss machen, das reiche jetzt, und kündigte meinen Besuch in zwei Wochen an wegen der Filmpremiere, und er wollte noch, heiser lachend oder hustend, wissen, was der Hund auf dem Stuhl gerade mache, und ich sagte, der schläft. Unmittelbar danach M.s Einlenken – es werde jetzt wirklich zu teuer, er möchte mich nicht arm machen –, dann sein Dank für diesen Anruf und das alte Halt die Ohren steif, ein guter Rat in den warmnassen Böen.
Trotz Sommerwetter wieder Arbeit an der Novelle, die langsam vorankommt, und gegen Abend ein fast beherztes Spiel, Italien gegen Tschechien, leider zwei zu null am Ende. Anschließend Karl Brückner, geschlagener, lebensgeprüfter Tschechen-Trainer auf eine idiotische deutsche, gänzlich heutige Reporterfrage nach seinen Gefühlen bezüglich dieser Weltmeisterschaft und dem eigenen Ausscheiden und Ende einer langen Karriere: »An Erinnerungen kann ich jetzt noch nicht denken.«
Nach dem Spiel das Bahnhofsviertel, ein streunendes Herumlaufen, wie früher (als U. hier in einer Frauen-WG war, Elbestraße); aber da ist nichts wie früher, als die Seitenstraßen entzündete Adern waren, voll Afrikaner und G.I.s, in Sommernächten höllisch. Heute hat alles seine schäbige Ordnung, in den Telefonshops die Dunkelhäutigen im kurzen Rock, weinend, wenn sie mit ihren Kindern in Kolumbien sprechen. Der Streuner wirft einen Blick ins Moseleck, die Kneipe, in der er Monate zugebracht hat, bei Bier und Boney M., nicht bei Cocktails und Tango. Das Moseleck, wo ich mit U. und den anderen Frauen saß, an jedem Wochenende, bis ultimo; wo ich mit den Fassbinder-Leuten war und mit Rosa von P., und wo die noch nicht Geliebte meines Verlegers mit prächtigem Hanauer
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