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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Hamburger Männerbuchhandlung, die Lesung kommenden Samstag. Abends ein Anruf aus Mainz – P. G. (weibliche Hälfte eines befreundeten Paars) lädt zu einem kleinen Sommerfest in ihrem Haus ein, auch um Robert Gernhardt noch einmal zu treffen, und so höre ich erstmals von seinem Krebselend. Wir reden noch etwas über ein Sachbuch, an dem sie schreibt, darin ein Kapitel über Ehen (und da sie mit U. schon gesprochen hat, bin ich als Quelle nicht gefragt). Vor dem Schlafengehen mit Lärm von der Fanmeile noch ein TV-Beitrag, der mich mehr und mehr interessiert, ein Beitrag über die Umstände der Exekution von Tookie Williams, die der Gouverneur Schwarzenegger nicht verhindert hat, um seine Wiederwahl zu sichern. Angehörigen, erzählt die Freundin von Williams, sei es verboten, während der Exekution, die sie verfolgen dürfen, zu schluchzen. Der Gouverneur Schwarzenegger ist zweifellos eine Drecksau (wie M. gesagt hätte), aber die Freundin, die nicht schluchzen durfte, trifft es am Ende viel besser: Er sei ein Feigling, sagt sie, und der nächtliche Zuschauer denkt: So sollte Fernsehen sein, das Ungeheuerliche zeigen.
    Aber nicht alle Todesurteile werden offen verkündet und vor Zeugen vollstreckt, manchmal spielen sich die Dinge auch im Dunkeln ab, nur zwischen Täter und Opfer; und gelegentlich sogar in einem Bauch, ohne dass irgendwer Böses will, so auf einer Sommerwanderung in den Bergen oberhalb von Arosa, August siebenundsechzig. Erst ging es über wellige Matten, stetig bergan, unter den Pfiffen von Murmeltieren, die sternschnuppenhaft auftauchten und wieder verschwanden, dann weiter über Geröll, kollernd unter den Schritten, einziger Laut in einer Stille, als seien die Felswände, in deren Schatten wir gingen, ein Dom jenseits aller Geräusche. Und zuletzt das Klettern über große, uns drei Unerfahrene – die beiden Schwestern und mich – schon doppelt überragende Brocken und Kanten, die wir mit Räuberleitern bestiegen oder sonstwie erklommen, um bald von Fels zu Fels zu springen, mit dem Echo unserer Lacher aus den Wänden, bis wir neben glitzernden Schneeresten die Lunchpakete des Hotels öffneten, während die ungeborene Tochter von M. und A., erdrosselt durch die Nabelschnur, eine schon nicht mehr werdende Mutter zu vergiften begann.
    Über der Stadt kreisen Hubschrauber, bereits seit dem Morgen. Argentinien trifft am Abend im einstigen Waldstadion, heute Commerzbank-Arena, auf die Niederlande. Man ist gespannt, weil gute Spieler und zwei Leidenschaften aufeinander stoßen; das so Schätzenswerte am Fußball: Der Jubel gilt nur dem Erstrangigen (in der Kunst wird dagegen gern das holprig Laienhafte gefeiert, das allerdings von Könnern). Aus einem vorbeifahrenden, mit Fahnen bestückten Auto plötzlich laut ein Lied aus den Achtzigern, I’ll Be Watching You – zu dieser Zeit trug den Schreibenden die Musik auf den Philippinen, während des Aufstands gegen die Marcos-Herrschaft; und in der Nacht, als der Diktator floh und Manila im Taumel lag, gab es nur einen Wunsch, dieses Erleben mit M. zu teilen. Ich schrieb ihm in den Morgenstunden, als die Stadt immer noch glühte, einen langen Brief, aber der hat ihn wohl nie erreicht, jedenfalls hat sich M. nie dazu geäußert, so wenig wie zu einem langen Brief aus den USA aus meiner Zeit als Candyman in den Vororten von Pittsburgh und zu einem Brief aus Somalia, der ihn als verlässliche Feldpost eigentlich erreicht haben sollte. Und der Hubschrauberlärm in der Hitze des Nachmittags, so wie die vielen offenen Autos mit Fahnen, die Mitfahrer oft stehend wie in Pick-ups, dazu das kriegerische Umherziehen tausender von Holländern, erinnern auch stark an den Frühsommer dreiundneunzig in Mogadischu, als der Briefeschreiber mit einem jungen, besessenen Agentur-Fotografen die tägliche Wahnsinnstour durch die Stadt machte, als freiwilliger Fahrer des Jeeps ohne Begleitschutz. Anstelle von Angst gab es da nur die Begeisterung für den Verfall ringsherum, und die Freude am Allradantrieb, der die Fahrt zur Rallye machte, noch einen Tag bevor der Fotograf auf dieser Route aus dem Jeep gezerrt und gesteinigt wurde, während sein Begleiter schon in einer Transportmaschine der Italiener saß, weil an einer gebrochenen Leiste der Darm durchdrückte: eine Gewebeschwäche, die mich vor dem Gesteinigtwerden im weißen Trümmerstaub bewahrt hatte (und wenn es ein Prinzip der unverdienten Hilfe gibt, ohne das jeder, der sich Gefahren aussetzt, auch der Umsichtigste

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