Eros und Evolution
Sicherheit der Weibchen gewährleistet (im Fall der sich von Früchten ernährenden Gibbons reicht das Futter in einem Revier nur für ein Weibchen). Ein Männchen sorgt dafür, daß sein Harem vor Rivalen geschützt wird, und tut seinen Kindern damit den großen Gefallen, sie vor der Ermordung zu bewahren. 6
Schimpansen haben durch die Entwicklung eines ganz anderen Sozialsystems die Strategie zur Verhinderung von Kindesmord noch weiter verfeinert. Da sie sich von Früchten ernähren, die reichlich vorhanden sind, wenn auch verstreut vorkommen, und sie daher mehr Zeit am Boden und im offenen Gelände verbringen, leben Schimpansen in größeren Gruppen (eine große Gruppe hat mehr Augen als eine kleine), die sich regelmäßig vorübergehend in kleinere Gruppen aufspalten. Diese »oszillierenden« Gruppen sind zu groß und zu variabel, als daß ein einzelnes Männchen sie dominieren könnte. Der Weg an die politische Spitze besteht für ein Schimpansenmännchen darin, Bündnisse mit anderen Männchen einzugehen. Schimpansentrupps enthalten viele Männchen.
Somit ist ein Weibchen von vielen gefährlichen (potentiellen) Stiefvätern ihrer Jungen umgeben. Die Lösung des Weibchens besteht darin, seine sexuelle Gunst sehr viel weitläufiger zu verteilen, mit dem Effekt, daß jedes Männchen der Vater der Jungen sein könnte. Somit gibt es nur eine Möglichkeit, wie ein Schimpansenmännchen sicher sein kann, daß das Kind, das er bei einem Weibchen antrifft, nicht seines ist: wenn er das Weibchen niemals zuvor gesehen hat. Und, wie Jane Goodall beobachtete, Schimpansenmännchen greifen in der Tat fremde Weibchen mit Säuglingen an und töten deren Junge. Kinderlose Weibchen werden nicht angegriffen. 7
Hrdys Problem ist gelöst. Das weibliche Streben nach Promiskuität bei Affen und Menschenaffen läßt sich durch die Notwendigkeit erklären, zur Verhinderung von Kindesmord die potentielle Vaterschaft auf viele Männchen zu verteilen. Trifft das auch auf die Menschheit zu? Die Antwort darauf lautet schlicht: nein. Zwar ist die Tatsache, daß die Wahrscheinlichkeit des Todes eines Stiefkinds fünfundsechzigmal so hoch ist wie die von Kindern, die bei ihren leiblichen Eltern leben 8 , ebensowenig zu leugnen wie der Umstand, daß die Furcht kleiner Kinder vor einem Stiefvater offenbar unvermeidlich ist. Aber beide Tatsachen haben in diesem Zusammenhang keine nennenswerte Bedeutung, denn sie beziehen sich beide auf größere Kinder und nicht auf Säuglinge. Deren Tod aber führt nicht dazu, daß die Mutter erneut schwanger werden kann.
Außerdem ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß wir Affen sind, vielleicht ein bißchen irreführend. Unser Geschlechtsleben gestaltet sich um einiges anders als das unserer Cousins. Wären wir wie Orang-Utans, dann lebten Frauen allein und in großer Entfernung voneinander. Auch die Männer lebten allein, würden aber jeweils verschiedene Frauen für eine gelegentliche sexuelle Beziehung aufsuchen (oder gar keine). Falls sich jemals zwei Männer treffen sollten, gäbe es einen gewaltigen Kampf auf Leben und Tod. Verhielten wir uns so wie Gibbons, wäre unser Leben ganz anders: Jedes Paar lebte meilenweit von anderen entfernt und bekämpfte jedes Eindringen in sein Revier – welches es niemals verließe – auf Leben und Tod. Auch wenn wir manchmal ziemlich unfreundliche Nachbarn haben, leben wir Menschen doch nicht so wie die Gibbons. Selbst Leute, die sich in ihr geheiligtes Zuhause im Vorort zurückziehen, behaupten nicht, daß sie dort ewig bleiben wollen, ganz zu schweigen davon, daß sie alle Fremden auszuschließen gedenken. Einen großen Teil unseres Lebens verbringen wir auf gemeinsamem Territorium, bei der Arbeit, beim Einkaufen oder in der Freizeit. Wir sind gesellig und sozial. Wir sind auch keine Gorillas.
Andernfalls lebten wir in Serails, die von riesigen Männern mittleren Alters beherrscht würden, die doppelt soviel wögen wie eine Frau, jeweils ein sexuelles Monopol auf alle Frauen der Gruppe hätten und andere Männer demütigten. Sex gäbe es seltener als Feiertage, selbst für den großen Herrn, der sich nur einmal im Jahr dazu aufraffte; für die anderen Männer existierte er überhaupt nicht. 9
Wären wir Schimpansen, dann lebten wir in einer Gesellschaft, die sich von unserer Menschengesellschaft nicht stark unterscheiden würde.
Wir lebten in Familien, wären sehr sozial, unterhielten strenge Hierarchien, verteidigten das Gruppenrevier und verhielten
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