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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Das herauszufinden, erwies sich
als schwierig, die Geheimhaltung funktionierte, und wenn Sie einwenden, daß
Geld alles beschleunigt, möchte ich dagegenhalten, daß man erstmal den
richtigen Adressaten finden muß, um nicht in einen finsteren Wald
hineinzubrüllen. Es begann ein langwieriges Vortasten. Es wäre für mich
einfacher gewesen, sie sonstwo auf diesem Planeten zu suchen. Ich brauchte
Leute, auf die ich mich hundertprozentig verlassen konnte. Außer Lukian gab es
keinen. Vielleicht kann man sich auf niemanden hundertprozentig verlassen, wer
weiß? Immerhin verlief mein Alltag nicht mehr ganz so grau, es gab zu tun, zu
intrigieren, zu bestechen, Verbindungen zu knüpfen und zu pflegen. Halt,
streichen Sie den letzten Satz bitte. Es wirkt obszön, wenn ich von meinem grauen Alltag rede in Zusammenhang mit dem meiner Geliebten. Und immer mal wieder dachte ich
daran, vielleicht doch auf der falschen Fährte zu sein, gerade wenn neue
Meldungen durch die Medien gingen, dieser oder jener Terrorist sei im Jemen
gesichtet worden, in einem palästinensischen Ausbildungslager. Mit den
Palästinensern konnte man wenigstens reden. Sie ließen sich die Auskunft, von
einer Sofie Kramer nichts zu wissen, zwar dick bezahlen, aber sie gaben einem
diese Auskunft dann so, daß man keinen Grund sah, daran zu zweifeln. Sie
mochten mich Deutschen, weil sie mir viele ermordete Juden unterstellten.
    Inge-Sofie zerbricht nicht. Im Gegenteil. Um zu überleben,
startet sie eine Orgie der Autosuggestion, während derer sie sich heldenhaft
einredet, es eigentlich ganz gut zu haben. Verbesserungen müßten im Kleinen
beginnen. Im Januar 1981 nagelt sie ein Gewürzbord an die Küchenwand. Streicht
in der Woche darauf die Wände blaßgelb. Sie hat Glück, erwirbt von privat,
Antiquitätenhändler gibt es offiziell höchst selten, eine hübsche und bequeme
Biedermeiercouch, legt sich im Intershop vergleichsweise stilvolle Kleider und
Wäsche zu. Die Schönheit Leipzigs erkennt sie, wenn sie nur lang genug
hinstarrt. Nachmittags verordnet sie sich Spaziergänge im Rosental und im
Auenwald, einer durch die Stadt verlaufenden Parkanlage. Das wird der Schlüssel
zum Überleben: Die unbearbeitete Natur, der es egal ist, welches politische
System gerade herrscht. Inge-Sofie liest Walden von Thoreau,
beginnt sich für Botanik zu interessieren, meldet sich in der
Kleingartenkolonie für die Pacht eines Schrebergartens an und verbringt die
Wochenenden im Wald, geht im Freibad schwimmen (die Flüsse sind zu schwer belastet), sammelt Pilze im Herbst, hält sich mit Schlittschuhlaufen fit in den Wintern.
    Das Dimitroff-Museum, nach dem Reichstag in Berlin der zweitgrößte
Monumentalbau des wilhelminischen Kaiserreichs, steht zur 165 cm großen
Inge-Sofie in – Kontrast. Stets hat ihr der Riesenkasten mit der Riesenkuppel
und den Riesensäulen Angst eingejagt, aber man kann es doch auch anders sehen.
Man hat ihr den Auftrag gegeben zu verhindern, daß dieses steinerne Monster
davonläuft. Also muß sie sich nachts mit all ihrem Gewicht da reinhocken. Wie könnte
sich jemand, der soviel Verantwortung trägt, winzig vorkommen?
    Geistig bildet sie sich mit Büchern fort, die über allen
ideologischen Schubladen schweben, den Schriften von Kant, Montesquieu und
Tacitus, den Romanen von Fallada, den Gedichten aus der Niemandsrose von Celan.
Wenn man sich anstrengt und die Existenz als politisch denkender Mensch
unterdrückt, ist die DDR durchaus lebbar. Nur die Einsamkeit kann nicht
betrogen werden. Inzwischen wagt Inge Schulz sich unter Menschen, auf
Tanzveranstaltungen, in Kneipen mit Musikbetrieb, es kommt zu Kontakten, zu
vereinzeltem Beischlaf, ohne daß je eine Beziehung daraus erwachsen würde. Die
Männer, sofern es welche gibt, die ihr interessant erscheinen und umgekehrt,
merken allzubald, daß diese Frau ein Geheimnis besitzt, daß sie verkrampft und
aufgesetzt agiert, zu sehr harter Kern, zu wenig weiche Schale, sie kann sich
nicht fallen lassen, ebensowenig wie Männer sich bei ihr fallen lassen können.
Jeden, der sympathisch daherkommt, verdächtigt sie, in höherem Auftrag neben
ihr zu liegen. Spätestens, wenn ein Gespräch sich um ihre Herkunft oder ihren
ehemaligen Beruf dreht, wird sie unsicher, leiert eine leblose, auswendig
gelernte Biographie hinunter und verfällt in Schweigen. So schön, daß die
Männer nur aufgrund ihrer Schönheit hartnäckig um sie buhlen würden, ist sie
nicht mehr. Wiewohl es ihr nie bewußt gewesen war,

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