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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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abgefragt. Wann in der FDJ gewesen? Wann Jugendweihe gehabt?
Wo ausgebildet worden? Welche Verdienstabzeichen, wann und wodurch erworben? Es
gibt sogar eine Liste all jener Kinofilme, die sie in der DDR gesehen haben
kann, die restlichen soll sie lieber vergessen. Was kostet ein Fahrschein,
wieviel ein Pfund Butter? Welches Produkt gibt es beim Konsum, was nur im
Intershop? Sofie will sich nicht undankbar zeigen und kooperiert, liest sich
eine neue Herkunft an. Bekommt ein Telefon mit Spezialschaltung, über das sie
nicht reden soll, es würde Argwohn erregen, so schnell ein Telefon in die
Wohnung geliefert zu bekommen. Es ist ein eigenartiges Telefon. Sie kann darauf
angerufen werden, selbst aber nur die Nummern eins bis acht wählen. Das reicht,
um im Notfall Majorin Schultze zu erreichen, oder, wenn die grad nicht
verfügbar sein sollte, einen nicht näher benannten Vorgesetzten.
    »Keine Kontakte zu Verwandten und Bekannten. Zu niemandem. Auch –
und schon gar nicht – zu ehemaligen Genossen. Keine politischen Aktivitäten.
Kein Waffenbesitz. Auf Ihr Konto gehen monatlich 600 Mark Frührente, die Miete
für Ihre Wohnung beträgt 39 Mark, kann man bequem leben damit. Sie unterliegen
ab sofort dem Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, damit wir uns
verstehn. Nähere Kontakte zu wem auch immer habense mir zu melden.«
    »Ich möchte wieder arbeiten.«
    Frau Schultze lehnt sich auf dem schmalen Sofa zurück, mustert
Fräulein Schulz ungnädig und schüttelt erst den Kopf, bevor sie den linken
Mundwinkel hinaufzieht. »Was könnense denn?«
    »Ich war Kindergärtnerin.«
    »Könnense vergessen. Sonst?«
    »Das wissen Sie doch. Ich war Schulungsleiterin. Fachgebiet
Marxismus-Leninismus.«
    Jetzt wird Majorin Schultze ganz mitleidig. »Was wollensen damit bei
uns?«
    Tage später meldet sich Inge Schulz folgsam im
St.Georg-Krankenhaus, wo sie eines der wenigen Einzelzimmer zugewiesen und
mehrere Spritzen verabreicht bekommt. Ihre Frage nach den Wirkstoffen verhallt
unbeantwortet im Raum. Der freundliche, noch recht junge Arzt behauptet, man
mache ihr alles so einfach wie möglich. Der körperliche Entzug sei keine große Sache,
eine Sache von wenigen Tagen. Inge Schulz bittet darum, auf keinen Fall
angeschnallt zu werden.
    »Natürlich nicht. Machen Sie sich keine Sorgen.« Patientin Schulz
verliert für Tage das Bewußtsein. Als sie erwacht, leidet sie unter Kopf- und
Bauchschmerzen, bleibt unter stationärer Beobachtung und wird eine Woche nach
Einlieferung entlassen. Den Ratschlag des Arztes, große Mengen Wasser zu
trinken, befolgt sie gerne. Der Durst wird beinah unerträglich, schwindet
schließlich zugunsten eines körperlichen Wohlgefühls, sie fühlt sich um Jahre
verjüngt und ist fest entschlossen, dem physischen Entzug auch einen
psychischen folgen zu lassen. Nach und nach darf sie ihre Wohnung verlassen,
erst für eine Stunde pro Tag, dann für zwei und sogar drei. Während zuvor
Majorin Schultze die Einkäufe erledigt hat, darf Frau Schulz nun immer öfter
für sich selbst sorgen. Auf dem Konto erscheinen die ersten 600 Mark Frührente,
zur freien Verfügung. Inge Schulz genießt den neuen Alltag, es kommt ihr vor,
als sei sie Figur in einem Kramladenspiel geworden, wie sie es als Kind gern
gespielt hat. Für ihr Freizeitprogramm wird ihr ein Bibliotheksausweis
ausgestellt. Ins Kino oder ins Konzert darf sie auch, mit der Auflage, um 22:30 Uhr wieder zu Hause zu sein, was einer nächtlichen Ausgangssperre gleichkommt,
aber Inge Schulz hat keinen Grund, sich zu beschweren, was würde sie auch nach
22:30 Uhr aushäusig wollen? In Kneipen herumlungern? Selbst wenn sie das
wollte, sie würde sich zu unsicher fühlen, könnte keine Viertelstunde Tresendialoge
durchhalten, ohne als Westlerin entlarvt zu werden. Sie muß den sozialistischen
Alltag erst noch in allen Feinheiten verinnerlichen. Die Tage werden lang und
länger. Ein harter grauer Winter. Fahrkarten für Bus und Trambahn sind
spottbillig. Inge, immer mit Schal um den Mund, verbringt viel Zeit damit,
durch Leipzig zu fahren und den Leuten heimlich zuzuhören, zuhause ahmt sie den
Akzent nach, prägt sich gewisse Wortfärbungen ein. Ihre Garderobe ist komplett
umgetauscht worden, man hat ihr fürs Erste Kleidung zur Verfügung gestellt,
durchweg eine Nummer zu groß, leider, das schlackert alles ein wenig. Egal. Sie
würde gerne Sport treiben, kann sich aber für keinen entscheiden. In einen
Verein einzutreten, wird ihr vorerst

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