ErosÄrger
gemacht, den einzigen noch existierenden Formwandler kennen zu lernen.
Dorian verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und setzte einen herausfordernden Gesichtsausdruck auf. Er mochte es nicht, von seinem Bruder analysiert zu werden. Es gab ihm das Gefühl unzulänglich zu sein und sich langsam in das Monster zu verwandeln, das alle in ihm sahen. Jemanden, der sich in alles und jeden verwandeln konnte, durfte man eben nicht trauen. Vor dem Krieg ein Vorurteil, nach dem Krieg ein Naturgesetz.
»Hilfst du mir, oder hilfst du mir nicht?« Obwohl Dorian sich Mühe gab, seine Stimme ruhig klingen zu lassen, wusste Johannes, um wie viel mehr es ging. Nicht bloß um einen Plan, sondern auch um die einzige Person, die immer zu Dorian gehalten hatte.
»Ich halte deine Idee für absoluten, totalen Wahnsinn!«, teilte er ihm mit. Die Linien der Müdigkeit und der Verzweiflung in Dorians Gesicht wurden deutlicher, als er sich auf Johannes Ablehnung vorbereitete: »Ich kann nicht nachvollziehen, was du gegen sie hast. Sie scheint keine böse Person zu sein.«
»Wie alle, oder?« Sarkasmus, die nicht zu seinem attraktiven Äußeren passte, hatte sich in Dorians Stimme geschlichen. Er klang desillusioniert.
Johannes wandte sich der Reportage zu, die auf dem riesigen Monitor schräg gegenüber lief und wo gerade die Erfolge der Matching-Myth aufgelistet wurden. Nur die bekanntesten aus jeder Epoche. Ein Beweis dafür, dass die Vermittlungsdienste der Liebesvermittlungsagentur zuverlässig waren, vielfältig und tatsächlich bisher immer garantiert.
Nicht ein einziges Paar hatte sich bisher getrennt.
Wieder erschien Katlyn, die hübsche Nymphe im Bild. Sie lächelte trotz des öffentlichen Rufes nach einer »Menschenquote« in Firmen, Parteien, Ämtern und allen möglichen und unmöglichen Berufen.
»Sie kann nichts für deine Situation, Dorian!«
»Ich weiß!«, gab der Formwandler zu. »Es ist ja auch nicht persönlich gemeint!« Doch sein Blick hing unverwandt an der Nymphe, bis Tatjana Franke wieder auftauchte und auf die nächste Sendung verwies.
WerKühe! Wie passend!
, dachte Dorian. Er erinnerte sich an den ersten Eindruck, den er von der menschlichen »Übernatürliches für Jedermann«-Moderatorin gehabt hatte. Dann besann er sich auf seine Bitte. Und auf seine Überredungskünste.
»Nie standen die Chancen besser! Die Position der Matching-Myth ist durch das Gesetz geschwächt und Katlyn muss neue Mitarbeiter einstellen. Menschliche!«
Ein Schauer lief Dorian über den Rücken, als er das letzte Wort betonte und seinen Bruder ansah. Manchmal hatte der Formwandler den Eindruck, ihm beim Altern zusehen zu können. Sekunde für Sekunde.
Es machte ihm Angst.
Jede einzelne graue Strähne und jede Falte Johannes´ erinnerte Dorian daran, dass er niemals altern würde. Für immer jung. Für immer allein.
»Ich würde es nicht überleben, dich zu verlieren!« Ohne es zu wollen, hatte der Formwandler seine Gedanken ausgesprochen und für Sekunden wirkte sein Halbbruder empört. »Hei, ich bin 50, nicht 105!«
Angesichts Dorians offensichtlicher Besorgnis verging ihm der Spaß. »Außerdem: Du würdest es überleben!«
Und noch während er sprach, begriff Johannes zum ersten Mal wirklich. Dorian würde tatsächlich überleben – er würde alles überleben. Und genau das war das Problem. Er würde weiterleben, gemieden, ohne Zuneigung, partnerschaftliche Nähe oder gar Liebe.
Trotzdem ist sein Plan keine Lösung!
»Was, wenn ich dich bitte, es nicht zu tun?«, fragte Johannes und sah zu, wie die Wut in Dorians Blick einer tiefen Verzweiflung wich.
»Dann würde ich es nicht tun.« Der Formwandler starrte seinen Bruder an und versuchte dessen Gedanken zu erraten, bevor er zu seiner nahezu tonlosen Frage ansetzte und den Blickkontakt zu Johannes abbrach: »Wirst du mich denn bitten?«
Dorian hoffte, dass die Endgültigkeit, mit der Johannes Bitte jegliche Hoffnung in ihm vernichten würde, für immer sein Geheimnis bleiben konnte. Schließlich hatte er einen weitaus realeren und persönlicheren Grund, um der Liebe und besonders der Matching-Myth zu zürnen.
KAPITEL 3
Mein nächster Tag fing beinahe so bescheiden an, wie der letzte geendet hatte. Sobald ich die Augen schloss, sah ich wieder den Gesichtsausdruck der Sterbenden, fühlte ihre Qual und ihre Angst. Die Augen zu öffnen, machte es kein bisschen besser. Denn die sogenannte »Menschenquote« war inzwischen überall. Im Radio, im Fernsehen und auf
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