ErosÄrger
schien die Grundstimmung ausschlaggebend zu sein. Ein esoterischer Laden musste eben, wie in diesem Falle, trotz seiner riesigen und einladenden Schaufensterfront dunkel sein, unübersichtlich und vollgestellt – und nach irgendetwas mystischem riechen.
Ich rümpfte die Nase als mir tatsächlich ein unerklärlicher Geruch in die Nase stieg und zum Niesen brachte. »Was ist das für ein Duft?«
Die junge Studentin zuckte zusammen. Gerade noch rechtzeitig für menschliche Blicke brachte sie ihr Lesematerial unter der Theke in Sicherheit und tat jetzt beschäftigt. Erst als ich aus dem tiefen Schatten trat entspannte sie sich wieder.
»Geheimnisvoller Orient, befürchte ich.«
»Nie im Leben!« Ich schob die Kapuze nach hinten und versuchte möglichst flach zu atmen. »Eher brennende Bibliothek von Alexandria!«
»Das ist das Problem mit Räucherstäbchen. In allererster Linie riechen sie nach Rauch«, gab Madam Sarafins Angestellte zu.
»Immerhin das können sie!« Ich umrundete Siebenmeilenstiefel, die auf einem hohen Oktagam ausgestellt waren und dazu neigten, harmlose Interessenten zu treten, wich einem magischen Auge aus, das seiner Packung entkommen war und ignorierte das Flüstern und die Versprechungen der magischen Bücher auf ihrem Weg zur Verkaufstheke.
Ein weiteres Problem auf der Suche nach Mysterien. Es durfte nicht gut riechen, schick aussehen, einer logischen Ordnung folgen oder angenehm schmecken. Und am allerbesten kam es dann auch noch von irgendwo ganz anders. Geistesabwesend knöpfte ich meine Jacke auf.
»Haben Sie das schon gelesen?« Die Studentin zog ihr Heft wieder unter der Theke hervor.
»Neuorientierung der magischen Gesellschaft – mehr Einfluss für Menschen!«, las sie die Schlagzeile vor. Die größte meinungsbildende Zeitung Deutschlands »Foto« hatte sich natürlich nicht mit den aktuellen Neuerungen abgegeben, sondern verlangte im Rahmen eines fairen und durchschaubaren Miteinanders aller Lebewesen nach mehr Nicht-Magie.
Ich nickte. Dann fiel mir ein, dass die junge Frau ihre Bewegung aufgrund der Lichtverhältnisse wahrscheinlich nicht sehen konnte und meinte: »Ja, leider! Vorhin, in der Sollte-nicht-mehr-Nokia-Express-heißen Bahnverbindung zwischen Bochum und Gelsenkirchen.«
Die Angestellte kicherte leise. Der Volksmund sollte der Bahn tatsächlich endlich einen anderen Spitznamen geben, statt sich an die guten alten Zeiten im Ruhrgebiet zu erinnern – und daran, dass sie längst vorbei waren.
»Madam Sarafin ist hinten!« Die hilfsbereite Studentin zeigte in Richtung eines kitschigen Vorhanges, der den Durchgang zu den hinteren Räumen auffällig verbarg. Er war mit Silberfasern durchzogen, unzählige Troddel und kleine Steine mit Symbolen waren an ihm angebracht. Genug, um auch den größten Zweifler von Madam Daria Sarafins Kompetenz zu überzeugen.
»Danke!« Ich schritt über die dritte magische Linie des Ladens. Während das Silber, die Troddeln und Symbole nur nutzloser Firlefanz waren, hatte das Durcheinander im Laden tatsächlich einen Zweck: Es verbarg mehr magische Kraft, als Merlin der Zauberer in seinem ganzen Leben genutzt hatte. Das scheinbar willkürliche Zusammenfügen einiger potentiell nutzloser Dinge ergab ein Gefüge, das ausreichen würde, ein eigenes Universum zu kreieren – oder das aktuelle zu zerstören.
»Ich bin gerade fertig geworden, immer hereinspaziert!«, ertönte eine weibliche Stimme durch den Vorhang.
Ich schob den geballten Kitsch zur Seite und machte einen Schritt über die vierte unsichtbare Magiegrenze und in den kleinen Raum hinein, in dem Madam ihrer Wahrsagerei nachging. Er schaffte es noch dunkler zu sein als die Verkaufsfläche. Daria saß ganz un-engelhaft auf einem Bodenkissen, vor ihr stand ein Tisch mit der obligatorischen Leuchtkugel und den Tarotkarten.
»Sehr schick!«, behauptete ich, zuckte aber zusammen, als ich den Kunden meiner besten Freundin erkannte. Meinen Bruder Cassius. Einen Moment lang kämpfte ich gegen einen akuten Erstickungsanfall an, zum Glück redete mein Mund trotzdem weiter: »Man kann sich das Leben auch mutwillig unbequem machen!«
Es gelang mir, meinem Bruder ein unverbindliches Nicken zuzugestehen, obwohl mir meine Fantasie die Krankenhausszene von gestern vorgaukelte. Mit einer Ausnahme: Ich war diejenige, die starb. (Fantasie war schon etwas Tolles. Vor allem, wenn sie direkt mit der eigenen, ständig vorhandenen Todesangst eine Art Standleitung aufgebaut hatte.)
»Guten
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