Error
Taxis krachen zu sehen.
Sokolow machte eine Bestandsaufnahme. Im Kampfeinsatz herrschte die Tendenz, erstaunlich schnell Sachen loszuwerden, weshalb er und alle anderen in seiner Branche dazu neigten, die wirklich wichtigen Dinge nah am Körper befestigt zu tragen. Vor weniger als einer Stunde hatte er im Keller des Wohngebäudes seine Verkleidung als älterer chinesischer Hobbyangler abgelegt und sich einen schwarzen Trainingsanzug, schwarze Laufschuhe, Hartschalenknieschoner, einen Genitalschutz und einen Gürtel mit dem Makarow-Holster und ein paar Ersatzmagazinen angezogen. Eine unförmige Windjacke verbarg eine schwarze Gurtweste mit Netzbezug, die er mit einer Auswahl an Messern, Taschenlampen, Kabelbindern und anderen ihm nützlich erscheinenden Dingen bestückt hatte. Auf den Rücken hatte er sich einen mit Wasser gefüllten CamelBak-Trinkrucksack geschnallt. Wozu Wasser auf eine Mission mitnehmen, die nur fünfzehn Minuten dauern sollte? Weil er in Afghanistan einmal zu einer Fünfzehnminutenmission ausgerückt war, die am Ende achtundvierzig Stunden gedauert hatte, und nachdem er es zurück in sein Lager geschafft hatte, gerade noch am Leben, weil er seinen eigenen Urin getrunken und Nagetieren und kleinen Vögeln das Blut ausgesaugt hatte, hatte er sich geschworen, nie wieder ohne Wasser aufzubrechen.
Er knotete den Müllsack auf, den er aus dem Büro mitgenommen hatte. Dabei musste er mit kleinsten Bewegungen vorgehen, damit den Menschen in dem Gedränge um ihn herum nicht auffiel, dass sich in dem Karren unter der Plane ein lebendiges Wesen befand. Er tastete in dem Sack herum und erkannte die diversen schweren elektronischen Kästen und dann die weiche, schwammartige Lederhandtasche.
Deren Inhalt war größtenteils von geringem bis gar keinem Nutzen. Zum Beispiel gab es ein Kondom, von dem er überlegte, ob er es über die Mündung seiner Makarow streifen sollte, um den Lauf vor Verschmutzung zu bewahren, aber im Moment hatte das wenig Sinn. Allerdings fand er auch eine Brieftasche mit einem Ausweis, dessen Foto mehr oder weniger zum Gesicht der russisch sprechenden, chinesisch aussehenden Frau – der Spionin – passte, die er in dem Büro gesehen hatte. Das war nun ein Fall, in dem ein scheinbar trivialer Aspekt der weiblichen Modeindustrie schwerwiegende Folgen hatte, zumindest für Sokolow. Ein Mann hätte nämlich den Inhalt seiner Brieftasche am Körper getragen und beim Aufbruch mitgenommen. Bei Damenkleidung dagegen war so etwas nicht vorgesehen, und deshalb musste alles in die Handtasche wandern.
Das Foto befand sich auf der rechten Seite des Ausweises. Eine Seriennummer in arabischen Ziffern verlief am unteren Rand entlang. Den übrigen Platz nahmen mehrere Felder ein, von denen jedes eine blaue Kennzeichnung und in Schwarz aufgedruckte Daten enthielt. Das obere Feld bestand aus drei Schriftzeichen, und er nahm an, dass es sich dabei um den Namen der Frau handelte. Darunter lagen zwei Felder auf einer Linie, da sie jeweils nur ein einziges Schriftzeichen enthielten. Eins davon, mutmaßte Sokolow, musste das Geschlecht sein. Dann gab es drei Felder nebeneinander, die alle mit arabischen Ziffern bedruckt waren. Im ersten stand »1986«, im zweiten »12« und im dritten »21«, also augenscheinlich das Geburtsdatum der Frau. Das letzte Feld war um einiges länger und bestand aus chinesischen Schriftzeichen, die über anderthalb Zeilen gingen, mit zusätzlichem Platz darunter, Sokolows Vermutung nach die Adresse der Frau.
In seiner Weste hatte er ein kleines Notizbuch und einen Stift. Die nahm er heraus und machte sich daran, die Adresse abzuschreiben. Aufgrund seiner verkrampften Haltung in dem rumpelnden Karren dauerte das eine ganze Weile. Aber im Moment hatte er ja nichts anderes zu tun.
Ebenfalls in der Handtasche befand sich ein Handy, das er natürlich auf Fotos und andere Daten hin überprüfte. Sokolow rechnete nicht damit, viel zu finden. Falls die Frau eine einigermaßen fähige Agentin war, würde sie bei einem solchen Gerät strengste Vorsicht walten lassen. Tatsächlich war die Zahl der Fotos ziemlich gering und schien überwiegend aus Aufnahmen von Immobilien zu bestehen. Die meisten zeigten Bürogebäude und davon wiederum der größte Teil den Block, in dem die Ereignisse dieses Morgens stattgefunden hatten. Ein paar waren aber auch Bilder eines Wohnhauses in einem hügeligen Viertel mit vielen Bäumen. Dazwischen fanden sich Aufnahmen vom Inneren einer leeren Wohnung und
Weitere Kostenlose Bücher