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Augen der Hotelpagen, oder von sonst irgendjemandem, unter einer Plane hervor von einem Karren springen. Außerdem musste er den Müllsack noch loswerden. Erneut klappte er sein Handy auf und sah sich noch einmal die Fotos an. Nachdem sie sich kürzlich dieses Hotel angeschaut hatten, waren sie über die Straße an den Uferdamm gegangen und hatten die Umgebung dort ein wenig ausgekundschaftet. Obwohl viel davon zugebaut war und ein Fährterminal neben dem anderen lag, gab es doch weiter nördlich eine verwahrloste Gegend mit heruntergekommenen Docks und nicht mehr benutzten schuttbedeckten Küstenstreifen. Nachdem er eine Aufnahme von diesem allgemeinen Teil der Küste gefunden hatte, machte er den Kärrner mit einem zischenden Geräusch auf sich aufmerksam.
Durch einen kleinen Spalt unter dem Rand der Plane sahen sie einander an. Sokolow bewegte mehrmals den gekrümmten Zeigefinger, worauf der Kärrner die Hand unter die Plane streckte. Sokolow gab ihm das Handy. Der Chinese zog es heraus, betrachtete es einen Moment lang, nickte dann und schob es wieder zurück. Sokolow nahm es und steckte es in eine kleine Außentasche an dem CamelBak.
Er hatte einen Weg gefunden, wie er unter dem Rand der Plane hervorschauen und ein Auge darauf haben konnte, wohin sie gingen. Von dem Boulevard mit seinem dichten Verkehr begaben sie sich jetzt in eine kleinere, ruhigere Parallelstraße, die zwischen ihm und dem Uferdamm verlief und an eine Stelle führte, wo erstaunlich wenig Verkehr herrschte. Sokolow konnte Wasser plätschern hören und den unverwechselbaren Hafengestank riechen. Er wagte es, den Rand der Plane zurückzuziehen, doch der Kärrner schüttelte, ohne sich umzusehen, den Kopf und gab so etwas wie eine Warnung von sich, die Sokolow sofort erstarren ließ. Ein paar Sekunden später flitzte ein Radfahrer von hinten an ihnen vorbei.
Doch kurz darauf bog der Kärrner auf eine Rampe ab, die auf einen maroden Pier hinunterführte, brachte sein Gefährt zum Stehen und zündete sich eine Zigarette an. Nachdem er vielleicht eine Minute lang gepafft hatte, schlug er unversehens die Plane zurück und murmelte irgendetwas.
Den Müllsack hinter sich herziehend, rollte sich Sokolow aus dem Karren hinaus auf die Füße. Er machte eine 360-Grad-Drehung, um nach möglichen Augenzeugen zu suchen, und da er keine sah, vollführte er eine weitere, diesmal schnellere Pirouette, bei der er dann den Müllsack losließ. Der Sack flog ungefähr vier Meter weit und versank in Wasser, das Sokolow, wäre er so unklug gewesen, hineinzuwaten, vermutlich nicht einmal bis zur Mitte des Oberschenkels gereicht hätte. Dennoch genügte das, um den Müllsack vollkommen zu verbergen, denn das Wasser war ziemlich undurchsichtig und der Sack selbst schwarz.
Als Sokolow sich wieder zu dem Kärrner umwandte, bemerkte er, dass dieser bereits das Trinkgeld entdeckt hatte, das ihn auf dem Boden des Karrens erwartete: ein weiteres Bündel magentaroter Geldscheine. Der Chinese sagte etwas zu ihm. Dankte ihm vermutlich. Sokolow beachtete ihn gar nicht und fiel in leichten Trab. In weniger als einer Minute war er wieder am Uferdamm und steuerte auf den Hotelturm zu, wobei er mit federnden Schritten von einem Schattenfleck zum nächsten lief und versuchte, nicht auf die schrillen Alarmglocken zu hören, die in seinem Kopf losgingen. Den ganzen Tag über hatte er nämlich die Hoffnung gehegt, dass ihn niemand sah. Und jetzt beobachteten ihn tausend Leute, zeigten mit dem Finger auf ihn, bedachten ihn mit Kommentaren, begafften ihn. Allerdings taten sie das nicht – wie er sich immer wieder sagte –, weil sie wussten, wer oder was er war. Sie taten es so, wie sie jeden Jogger aus dem Westen anstarrten, der verrückt genug war, in der Mittagssonne loszurennen.
Olivia schaffte es bis hinunter ins Erdgeschoss, ehe sie richtig begriff, dass sie barfuß war. Sie war aus ihren Schuhen herausgesprengt worden. Die lagen jetzt oben im Büro bei dem russischen Söldner.
In einem hypothetischen Wettlauf über unebenen, mit Schutt bedeckten Boden zwischen Olivia barfuß und Olivia in Karrierefrauen-Highheels wären die Chancen der beiden Olivias nicht von vornherein klar gewesen. Den Ausschlag hätte vermutlich gegeben, wie lange es gedauert hätte, bis die barfüßige Olivia auf eine Glasscherbe getreten wäre und sich den Fuß aufgeschnitten hätte. Nicht sehr lange, es sei denn, sie wäre vorsichtig.
Das Gebäude hatte eine alte Vorderseite, die auf den gerade
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