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Versicherungskarte, eine Wählerkarte, ein Rechteck aus weißem Papier, darauf gedruckt mehrere lange Reihen aus zufälligen Buchstaben, Ziffern und Satzzeichen: wahrscheinlich Passwörter. Kein Foto von Zula, was bestimmte ungünstige Meinungen bestätigte, die Csongor seit dem Moment ihres gegenseitigen Kennenlernens über Peter gehegt hatte. Fächer mit Kredit- und Kundenkarten. Ein Geldscheinfach, das zwei amerikanische Dollarscheine und sehr viel mehr von einer anderen, bunteren Währung enthielt, die Csongor nicht sofort erkannte: kanadisch, wie er nun sah. Sehr sonderbar, dieses sorgfältig aufbewahrte Relikt aus dem Leben eines Toten in einer vollkommen anderen Welt, hier an einem Strand in Luzon, in der Hand zu halten.
Das Gespräch zwischen Yuxia und dem Bootsmann war verstummt, als dieser einen Blick in die Brieftasche getan hatte.
Solange der Bursche ihm seine Aufmerksamkeit schenkte, sagte Csongor zu Yuxia: »Wir müssen in irgendeine Stadt, wo man ein Hotelzimmer bekommt, ins Internet gehen kann, eine Busfahrkarte nach Manila kriegt und so weiter. Wie weit ist es bis zur nächsten derartigen Stadt? Kommt man dort leichter mit dem Boot oder über Land hin?« Denn sie konnten ein, zwei Kilometer landeinwärts ab und zu Lkws eine Straße entlangdonnern hören, und diese wirbelten Wolken von braunem Staub auf, der wie dichter Rauch aus dem Dschungel aufstieg.
»Er ist nicht dumm«, warnte Yuxia. »Du weißt, was er sagen wird.«
»Formuliere es, wie du willst«, gab Csongor zurück, »Hauptsache, es bringt uns von hier weg.«
Wenigstens lieferte das Yuxia und dem Bootsmann ein Gesprächsthema, während Csongor den Plastikbeutel öffnete, der Zulas Sachen enthielt. Dass er ihre Brieftasche aufklappte, setzte ihn einer Art Schrotschuss unterschiedlichster Empfindungen aus. Scham ob seines unfeinen Benehmens. Entsetzen bei dem Gedanken, dass er vielleicht die Besitztümer einer Toten durchwühlte. Heftige Neugier auf sämtliche Aspekte von Zulas Leben. Ein durchdringendes Gefühl von Verlust, gefolgt von dem Entschluss, weiterzumachen und sie zu suchen, immer angenommen, sie war noch am Leben. Bangen, dass er kein Geld finden würde, dann ein albernes Gefühl der Dankbarkeit, als er, vermischt mit kanadischen Scheinen unterschiedlicher Nennwerte, mehrere knisternde neue Zwanziger mit dem Bild von Andrew Jackson entdeckte.
»Südlich von hier an der Küste gibt es eine Stadt mit einem Hotel, wo Touristen hingehen«, verkündete Yuxia.
»Einheimische philippinische Touristen oder …«
»Er sagt, es sind lauter Weiße.«
»Wie lange braucht man dorthin?«
»Mit seinem Boot drei Stunden bei diesem Wetter. Wir können aber auch zur Straße gehen und versuchen zu trampen.«
Marlon hatte sich hochgerappelt und verfolgte das Gespräch genauer. Er war mit Sand bedeckt und grinste. Csongor wechselte einen Blick mit ihm, dann mit Yuxia. Es schien ein Konsens zu bestehen, dass sie mit dem Boot fahren sollten. Also pflückte Csongor einen Zwanziger aus Zulas Brieftasche, hielt ihn hoch in die Luft und gab ihn dem Bootsführer.
Der Bootsführer machte ein ziemlich erfreutes Gesicht, aber: »Er will mehr«, sagte Yuxia mit einer wie gefrorenen Stimme, die Csongor verriet, das er bereits ausmanövriert und übers Ohr gehauen worden war.
Csongor drehte sich um und blickte zurück in Richtung des Wracks, das von Booten umgeben war, die großteils mindestens genauso seetüchtig waren wie das dieses Burschen. »Sag ihm, er kriegt noch einen, wenn er uns hinfährt«, sagte er. »Und wenn ihm das nicht passt, dann frag ihn, was wohl passiert, wenn ich dort hinauswate und mit Zwanzigern winke.«
»Warum bezahlst du mit amerikanischem Geld?«, fragte Marlon.
Während Yuxia übersetzte, zeigte Csongor Marlon die leere Tasche. Auf Marlons entsetzten Blick hin wies er mit dem Kinn in Richtung Szélanya. »Einer von den Leuten war ein bisschen zu schlau für mich«, gestand er.
Der Bootsführer brachte noch genug Einwände vor, um das Gesicht zu wahren, dann bewegte er sich in Richtung seines Bootes und gab ihnen durch Gesten zu verstehen, dass sie gern an Bord kommen durften.
Das Boot war von beträchtlicher Größe, der Rumpf vielleicht zwölf Meter lang, an der breitesten Stelle einen Meter breit und mit einem tiefen, v-förmigen Querschnitt, sodass sich die Planken, die den Rumpf bildeten, wie Wände zu beiden Seiten von ihnen erhoben. Es schien hierzulande eine unumstößliche Regel zu geben, derzufolge sämtliche
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