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den Airport Way hinauf in ein Viertel, das er Georgetown nannte. Er bog um eine Ecke und verlangsamte einen halben Häuserblock weiter seinen Schritt, um sie auf ein Gebäude hinzuweisen, bei dem es sich, wie er sagte, um das handelte, aus dem zwei Wochen zuvor seine Nichte und die Person namens Peter Curtis entführt worden seien. Dann ging er weiter zu einer nahegelegenen Kneipe, vor der eine lange Reihe Harley-Davidsons geparkt war. Die amtierende Barkellnerin, eine ernste Frau mit vielen Tattoos, begrüßte ihn mit Namen, fragte: »Schon was Neues?« und machte ein grüblerisches Gesicht, als er verneinend den Kopf schüttelte. Sie setzten sich in die letzte freie Nische. Was Richard wollte, wusste die Kellnerin schon, aber sie brachte Speisekarten für Olivia und John. Olivia hatte sich bereits auf eine Flasche wässrig gelbes, amerikanisches Bier gefasst gemacht, stellte jedoch zu ihrer Überraschung fest, dass es anderthalb Dutzend unterschiedliche Bier-, Ale- und Stoutsorten, alle vom Fass, gab. Sie bat um ein Bitter und einen Salat. John Forthrast bestellte eine Flasche Pabst Blue Ribbon und einen Hamburger. Das ließ offenbar irgendeinen uralten Geschwisterkonflikt zwischen den beiden Brüdern aufbrechen. »Du bist hier in einer Stadt, wo du alles essen kannst«, erinnerte ihn Richard. »Meinst du, es bringt dich um, wenn – ach, was soll’s.« Den letzten Satzteil mit einem kurzem Blick zu Olivia und der Erkenntnis, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, eine allen Anzeichen nach totgerittene Auseinandersetzung wiederaufleben zu lassen.
»Ich mag kein stark gewürztes Essen«, brummte John stur.
»Ist das eine echte Arbeiterkneipe oder nur ein Abklatsch davon?«, fragte Olivia.
»Beides«, sagte Richard. »Angefangen hat sie vor ein paar Jahren als reiner Abklatsch, vor der Wirtschaftskrise, als es bei Twentysomethings als schick galt, hierher zu ziehen und in Carhartts und Utilikilts herumzulaufen. Aber die haben das so gut gemacht, dass irgendwann auch die arbeitende Bevölkerung gekommen ist. Und dann ist die Wirtschaft zusammengekracht, und die schicken Leute haben gemerkt, dass sie eigentlich doch Arbeiter sind und wahrscheinlich immer sein werden. Also findet man hier Leute, die an der Drehbank stehen. Aber sie haben einen grellen Irokesenschnitt und einen Uni-Abschluss, und sie programmieren die Drehbank in einer Computersprache. Ich habe versucht, einen Namen für sie zu erfinden. Aber so richtig ist mir nichts eingefallen.«
»Kehren viele Leute auf dem Weg zum Privatjetterminal hier ein?«
»Sie würden sich wundern.«
Das Essen und die Getränke kamen und sorgten für eine Gesprächspause, und dann versuchte Olivia, sich zu rechtfertigen; dabei vermied sie es tunlichst zu sagen, für wen sie arbeitete – obwohl das mittlerweile offensichtlich sein musste – und woher sie wusste, was sie wusste. »Da ich nicht viel sagen kann«, schloss sie, »hatte ich eigentlich gehofft, vielleicht von Ihnen ein paar Hinweise und Erkenntnisse zu bekommen. Und dass Sie bereits die Namen Sokolow und Iwanow kennen, lässt mich vermuten, dass ich nicht ganz auf dem Holzweg bin.«
Richard zückte ein iPad und rief Bilder des Briefes auf, den Zula auf die Papierhandtücher geschrieben hatte und den Olivia natürlich fasziniert las.
In gewisser Hinsicht führte alles, was mit Zula und den Russen zu tun hatte, vom eigentlichen Thema weg. Dem MI 6 waren sie vollkommen egal. Dort wollte man bloß Jones und alles, was man als Nebenprodukt der Jagd nach ihm an Erkenntnissen gewinnen konnte. Man hatte in Xiamen eine recht zufriedenstellende Operation laufen gehabt, die durch das Eingreifen der Russen zunichte gemacht worden war. Alles, was mit T’Rain und REAMDE zu tun hatte, war eine Ablenkung; dass Olivia mit dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Corporation 9592 in einer Rockerkneipe herumhing, war als Freizeitvergnügen akzeptabel, durfte aber unter keinen Umständen mit produktiver Arbeit verwechselt werden. So die offizielle Linie. Aber da sie gerade eine sehr lange, teure und sinnlose Suche in Zamboanga hinter sich gebracht hatte, einen offiziell gebilligten Einsatz, der Seamus’ Leute großer Anstrengung und Gefahr ausgesetzt und offenbar mehrere Todesopfer gefordert hatte, neigte Olivia mittlerweile dazu, die Parteilinie sehr skeptisch zu sehen. Sie hatte das vage Gefühl, dass mit Richard Forthrast zu trinken langfristig vielleicht produktiver war als der Flug nach Manila. Aber sie konnte
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