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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Ich erinnerte mich an ihre starke, schöne Stimme, wenn sie sang, und an das Wort Fjördisch. Hatte sie ihre eigene Kraft gerufen? Oder hatte sie versucht, die eines anderen zu nehmen? Ich schloss die Augen und versuchte, erneut nachzudenken.
    »Dann eben nicht! «, schrie Incy. Ich riss die Augen auf. Incy hatte ein altes Schwert gezogen, in dessen Klinge Symbole eingraviert waren, bei deren Anblick sich mir die Nackenhaare aufstellten. Das Metall schimmerte im Kerzenlicht.

    »Wusstest du, dass mehrere Wege nach Rom führen?«
    Mein Gehirn hatte Mühe, ihm zu folgen.
    »Boz habe ich seine Kraft bei lebendigem Leib entrissen, nur um zu sehen, ob ich es kann.« Incy grinste. »Und es war unglaublich. Ich hoffe, es hat dir gefallen.« Er tänzelte ein wenig herum und benutzte das Schwert wie einen Gehstock. »Aber wenn ich Katy einfach den Kopf abschlage, kann ich ihre Kraft aus der Luft greifen. Was viel einfacher ist, findest du nicht auch?«
    »Warte! «, stieß ich hervor. Ich kniete schon die ganze Zeit auf dem kalten Boden und meine Knie brannten und pochten vor Schmerz. »Warte!«
    »Ich soll warten? Willst du es dir noch mal überlegen?
    Nein.« Incy sprang auf Katy zu und hob das Schwert über ihren Kopf. Sie blinzelte mehrmals, sah zu ihm auf, und ich merkte, dass sie versuchte, sich zu bewegen, aufzustehen. Die ganze Szene erschien mir irgendwie unwirklich, wie ein Albtraum, aus dem ich nicht aufwachen konnte.
    »Nein!« Ich konnte nicht schreien, aber ich machte meine Stimme so laut ich konnte. Trotzdem klang es gedämpft, als würde ich in einen Tunnel aus Filz schreien. »Nein, Incy, warte!«
    Katy würgte, nicht in der Lage zu schluchzen. Ihre Augen waren groß und voller Unglauben.
    Incy sah mich an. »Du zwingst mich dazu«, sagte er deutlich und schlug mit dem Schwert zu.
    »Katy!«, keuchte ich bei dem unerwartet lauten Wack. Alles in mir bäumte sich auf, bis mich die tödlichen Ketten zurückrissen. Katys kurzer Aufschrei endete abrupt.
    Mir stand der Mund offen, als Katys Kopf auf den Boden fiel, ein Stück rollte und mit dem Gesicht zu mir liegen blieb. Ihre Augen sahen mich an, sie blinzelte langsam und dann wurden ihre Augen so trübe wie der Film, der sich auf alter Milch bildet. Ihr Herz pumpte einen Schwall leuchtend roten Blutes aus ihrem Hals. Im Bruchteil einer Sekunde war ich wieder in der Nacht, in der meine Familie abgeschlachtet worden war. Auch da hatte es ungeheuer viel Blut gegeben. Ich war hindurchgelaufen und meine Filzhausschuhe hatten patschende Geräusche auf dem vollgesogenen Teppich gemacht. Und jetzt starrte ich Katys Blut an, das rot und glänzendüber den Boden des alten Lagerhauses auf mich zurann und kleine Schneisen durch den Staub zog. Der schwere, kupferige Geruch des Blutes geriet mir in die Nase und breitete sich in meinem Mund aus.
    Das war zu viel. Ich beugte mich zur Seite und übergab mich. Mein Magen krampfte sich immer wieder zusammen. Die harten Drinks, die ich erst vor einer Stunde gekippt hatte, brannten mit der gallenbitteren Magensäure in meinem Rachen. Incy hatte währenddessen gesungen, aber jetzt wich er hastig zurück, damit das sich ausbreitende Blut nicht seine Schuhe befleckte. Er atmete schwer und der Hauch seines Atems war im Mondlicht deutlich zu sehen. Er schaute mich mit funkelnden Augen an und schien verblüfft, beeindruckt und beinahe freudig erregt zu sein, dass er tatsächlich eine so grauenhafte Tat begangen hatte.
    »Bist du jetzt zufrieden?«, fragte er. Von der Klinge des Schwerts, das er locker in der Hand hielt, tropfte Blut.»Siehst du, wozu du mich gezwungen hast? Das war nur deine Schuld!« Er deutete auf Katy. »Sie hätte nicht sterben müssen! Du hättest sie retten können! Aber deine Selbstsucht hat sie umgebracht!« Seine Worte hätten mich vermutlich noch tiefer getroffen, wenn er nicht so triumphierend ausgesehen hätte.
    Das war der Augenblick, in dem mein Hass auf ihn anfing, seinen Fesselungszauber zu überlagern, nur ein kleines bisschen. »Ich hasse dich!«, sagte ich. Meine Zunge fühlte sich immer noch steif an, aber meine Stimme war stärker als zuvor. Incy fuhr entsetzt zusammen, entweder wegen meiner Worte oder weil ich fähig war, sie zu sagen. Ich wusste es nicht. Aber jetzt sprudelten die Worte nur so aus mir heraus, wie das Blut aus Katy herausgesprudelt war.
    »Ich hasse dich! Ich hasse alles an dir! Du bist verrückt! Schlecht! Gierig nach Macht!«

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