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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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einer Glasschale mit Salz und einem kleinen Musselinbeutel, der nach Kräutern roch. Ich nahm den Zettel in die Hand und erkannte Rivers wunderschöne, altmodische Handschrift. Das hatte sie geschrieben:
    »Trink den Tee auf deinem Nachttisch.
    Nimm ein Bad mit dem Kräuterbeutel.
    Zieh die Robe an, die in deinem Schrank hängt. Forme einen Zirkel mit dem Salz und meditiere eine Stundelang darin. Denk an das neue Jahr.
    Öffne den Kreis, verstreu das Salz auf dem Boden, dann feg es zusammen und wirf es aus dem Fenster.
    Wir sehen uns beim Essen!«

    Ich nahm den Teebecher und schnupperte daran. Er war noch recht warm und er roch nach - ja, ich weiß, das ist jetzt ein Schock - Kräutern. Unter uns, ich hätte zwischendurch echt mal gern eine Tasse ganz gewöhnlichen Lipton-Tee getrunken. Wenn es möglich ist, dass man irgendwann keine Kräuter mehr riechen kann, dann war ich auf dem besten Weg dahin.
    Also schnell hinunter mit dem Tee. Besonders gut schmeckte er nicht und ein Schuss Brandy hätte ihn definitiv verbessert. Aber ich kriegte ihn runter. Dann machte ich den Schrank auf, um mir die Robe anzusehen.
    Ich hatte sie vorher noch nie gesehen. Sie war aus schwerem weißem Leinen, das durchs Waschen ganz weich geworden war. Außerdem war sie so schlicht wie ein Nachthemd. Den Halsausschnitt zierten Runen, die mit weißem Faden eingestickt waren. Ich sah Kenaz, was Erleuchtung, Kenntnis, Wissen bedeutet. Algiz, den Schutz vor dem Bösen. Laguz - Wasser? Ich hatte das alles doch gerade gelernt. Richtig, es bedeutete Wasser, Träume, Fantasien, Visionen.
    Berkano war das Symbol für weibliche Fruchtbarkeit, Wachstum und Erneuerung. Echt irre. Ich drehte die Robe in meinen Händen und sah Dagaz, Tagesanbruch oder Dämmerung. Erweckung, Bewusstsein. Und hinten im Nacken war Othala. Ich holte tief Luft. Othala stand für das Erbe; genau genommen für das Land oder Grundstück, das man geerbt hatte; das Geburtsrecht.
    Das Grundstück, dessen einzige Erbin ich war, war zerstört und das Haus dem Erdboden gleichgemacht worden, als ich zehn war. Ich hatte die Überreste mit sechzehn gesehen. Und mich danach nie wieder überwinden können, noch einmal dorthin zurückzukehren.
    Auf dem Weg ins Badezimmer begegnete ich Anne. Sie kam gerade heraus, das Gesicht rot vom Dampf, und das feine dünne Haar klebte ihr nass am Kopf. Sie lächelte, als sie mich entdeckte, und küsste mich auf beide Wangen, als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.
    »Ich liebe Silvester«, sagte sie. »Und ich bin froh, dass du bei uns bist.«
    Für mich waren diese offen ausgelebten Gefühle immer noch total fremd und so murmelte ich nur etwas Unverständliches. »Der Abend heute wird sehr aufregend«, sagte Anne, die sich durch meine Mundfaulheit nicht abschrecken ließ. »Zieh schon zum Abendessen deine Robe an - die anderen tun es auch.«
    »Was werden wir beim Zirkel machen?«, fragte ich.

    »Ein Neujahrszirkel dient gewöhnlich dazu, die Dinge in unserer Vergangenheit zu klären und eine Ahnung davon zu bekommen, was die Zukunft für uns bereithält«, erklärte Anne. »Die Leute haben dabei oft Visionen von etwas, das noch passieren wird.«
    »Oh, super «, sagte ich sarkastisch. Ich hatte bei magischen Zirkeln eigentlich immer Visionen und sie waren grundsätzlich grauenvoll.
    Anne lachte. »Es wird schon gut gehen«, versprach Sie. »Wir sind doch alle zusammen.«
    Ich nickte düster und ging mein rituelles Bad nehmen.

5
    Meine einstündige Meditation nach dem Baden war ein Reinfall. Annes Bemerkung über die Visionen hatte mir den letzten Nerv geraubt, ich war noch total fertig von meinem Incy-Albtraum und musste dauernd daran denken, wie ich mich heute an meine Familie erinnert hatte, was bei der Arbeit passiert war, und dazu kam noch diese ganze Reyn-Geschichte.
    Aber die brave Nastasja machte natürlich einen Kreis aus Salz, zündete eine Kerze an und saß auf dem Boden, bis ihr der Hintern taub wurde. Schließlich seufzte ich, blies die Kerze aus und verteilte das Salz weisungsgemäß über den ganzen 'Boden. Dann holte ich mir vom Flur einen Besen, fegte alles zusammen und warf es aus dem Fenster.
    Ich betrachtete die Robe auf meinem Bett. Ich würde mir darin blöd vorkommen. Das war so ... klischeehaft, wie Hexen, die in Wallegewändern um Mitternacht ums Feuer herumtanzen. Vielleicht sollte ich krank werden. Magengrippe klang doch gut. Oder ich konnte einfach ins Bett

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