Ersehnt
ich überzeugt, nichts falsch machen zu können und dass alles so geschehen würde, wie es geplant war.
River faltete die Hände vor sich, hauchte etwas hinein und öffnete sie dann mit einem Ruck in Richtung Feuer. Das Feuer flammte auf, als hätte sie tatsächlich etwas hineingeworfen. Aber River hatte nur losgelassen, was sie nicht mehr brauchte, und das Feuer hatte es aufgenommen und verschlungen.
Asher stand auf Rivers anderer Seite und machte dasselbe. Ich beobachtete fasziniert, wie das Feuer seinen Wunsch buchstäblich aus der Luft zu greifen schien. Man kann sagen, was man will - an Magie glauben oder sie für ausgemachten Blödsinn halten -, aber das hier war echt gruselig.
Und es ging so weiter: Anne, Lorenz, Brynne, Jess, Rachel ... jeder entsorgte etwas, das im Feuer verbrannte.
Dann war ich an der Reihe. Es war nicht so, als wüsste ich nicht, was ich loswerden wollte - genaugenommen war es so viel, dass das Feuer damit vermutlich überfordert war.
Dummheit, Egoismus, Faulheit, Trägheit - Moment, Faulheit und Trägheit kann man wohl zu einem Punkt zusammenfassen? Unreife. Egoismus hatte ich schon erwähnt, oder?
Rachel stieß mir sanft den Ellbogen in die Rippen, und als ich aufschaute, bemerkte ich, dass mich alle erwartungsvoll ansahen. Ich schluckte, immer noch eingehüllt in meine leuchtende Blase aus Licht und Kraft. Hastig legte ich die Hände aneinander und hauchte die ersten Worte hinein, die mir in den Kopf kamen. Ich trenne mich von der Dunkelheit. Ich öffnete meine Hände schwungvoll zum Feuer hin. Es explodierte beinahe. Die Flammen schossen dreimal so hoch wie zuvor und ich wich einen Schritt zurück. Aber die Flammen zogen mich magisch an, und obwohl ich die Hitze spürte, konnte ich den Blick nicht abwenden.
Ich trenne mich von der Dunkelheit. Das beinhaltete eigentlich alles. Ich hatte mein altes Leben abgestreift wie eine Eidechse ihre Haut; meine alten Freunde, mein altes Ich. Alles war neu. Dies war der Beginn eines neuen Jahres, ein neuer Anfang, und ich begann es mit der bewussten Entscheidung, die Dunkelheit aus mir zu verbannen und mich der Möglichkeit zu öffnen, ein guter Mensch zu werden. Eine Erinnerung tauchte auf und nahm im Feuer Form an. Ich war da und Incy und Boz und Katy auch. Dann verblasste das Feuer und ich sah die Szene deutlich vor mir.
***
Wir hielten uns während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich auf. Zwar hatten wir versucht, mit gefälschten Papieren über die Schweizer Grenze zu kommen, waren aber gescheitert und saßen jetzt fest, während wir uns neue Papiere machen ließen.
Wir vier waren auf dem Weg zur Bar eines Unsterblichen, der aus unerfindlichen Gründen beschlossen hatte, in Frankreich zu bleiben. Worüber wir natürlich froh waren. Seine Bar war gut versteckt - es war aufregend und riskant hinzukommen und wir mussten dazu in die Kanalisation hinabsteigen, buchstäblich durch ausgebombte Keller robben und uns durch einen engen Tunnel unter einer mit Brettern vernagelten Kathedrale quetschen.
Als wir die Straße entlanghasteten und hofften, nicht von einer dieser lästigen deutschen Patrouillen gestoppt zu werden, entdeckten wir einen Laster vom Roten Kreuz, der vor einem Postamt parkte. Wir waren bester Laune, schick angezogen, freuten uns auf den Abend und hofften, am nächsten Tag die neuen Papiere zu bekommen und diese jämmerliche zerbombte Stadt endlich verlassen zu können.
Der Fahrer des Lasters war in der Post, deren Tür offenstand. Wir hörten ihn mit einem grässlichen amerikanischen Akzent fragen, wo das Waisenhaus war. Die Postbeamtin fing an, es ihm rasend schnell und wild gestikulierend zu erklären, und es war eindeutig, dass er kein Wort verstand. Er bedeutete ihr mit Händen und Füßen, eine Karte zu zeichnen. Die Frau verschwand, um ein Stück von dem hauchdünnen Papier zu holen, das alles war, was man zurzeit bekam. »Hey!«, sagte Boz und wurde langsamer.
»Was?«, fragte ich.
»Der Wagen vom Roten Kreuz - er fährt zum Waisenhaus.« Er senkte die Stimme und zog uns in eine Gasse.
»Und?«, fragte Incy, aber dann leuchteten seine dunklen Augen auf. »Er bringt Vorräte. Vielleicht Essen.«
Als wir die Holzkisten hinter uns herschleifend in Felipes Bar ankamen, wurden wir gefeiert wie Helden. Sie enthielten wahre Schätze: Schokolade, Seife, richtige Eier, bei denen alle vor Begeisterung kreischten, und echte Orangen. Keiner von uns hatte so
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