Ersehnt
Fortschritte machen. Ehrlich. Ganz bestimmt. Ich tauchte mit dem Kopf unter, spülte den Schaum ab und stellte mir vor, dass es meine Vergangenheit war, die ich von mir abwusch.
***
Sattelzeug zu putzen steht auf meiner Hass-Liste ziemlich weit oben, zusammen mit Pina Coladas und Spaziergängen im Regen. Angesichts mehrerer Kutschgeschirre, zweier Sättel und von ein paar Gurten war ich dankbar, dass zumindest ein Teil von dem Zeug aus Nylon war und keine besondere Pflege brauchte.
»Hallo, cara«, murmelte Lorenz, als ich an ihm vorbei in Richtung Sattelkammer ging. Er und Charles fegten die Stall;gasse und die Luft war voller Heustaub. »Hast du die süßen Hundebabys schon gesehen?«
Hier waren alle verrückt nach den Welpen.
Charles nieste und zog ein sauberes weißes Taschentuch aus der Tasche seines Stallkittels. Sogar beim Fegen sah er gepflegt und adrett aus. Und Lorenz hätte für eine Pferde;zeitschrift modeln können - Thema: die Winterkollektion. Er trug sogar einen Seidenschal um den Hals. Ich hatte mal wieder mein rattenscharfes Outfit an: gefütterte Jeans, Gummi;stiefel, ein Sweatshirt, meine Daunenjacke und einen dicken Wollschal. Lorenz, dessen Sinn für Mode davon offenbar beleidigt wurde, versuchte, keine Miene zu verziehen, aber er konnte es einfach nicht ertragen.
»Nein, wickel den Schal nicht so oft um den Hals«, sagte er. Er stellte den Besen weg und kam auf mich zu. Er war erst ungefähr hundert und hatte noch einen ausgeprägten italienischen Akzent.
Ich hob die Hände, um ihn aufzuhalten, aber er drückte sie energisch nach unten und wickelte meinen Schal ab, während ich dastand wie erstarrt. Meine Haare waren ordentlich gewachsen und bedeckten jetzt knapp meinen Nacken - aber eben nur knapp. Ich fühlte mich, als wäre ich am Boden festgeklebt, und versuchte, die entsetzliche Panik in den Griff zu bekommen, die seine Aktion in mir ausgelöst hatte.
»Sieh mal. So geht das.« Er faltete den Schal und schlang ihn mir flink um den Hals. Ich zwang mich, nicht wegzuspringen. Er steckte das lose Ende des Schals durch die Schlaufe und zog ihn fest. Ich brachte meine Atmung unter Kontrolle, während er noch daran herumzupfte und ihn in Form brachte. Schließlich trat er zurück und musterte mich. »Ist doch besser so, oder?«, fragte er Charles, der zustimmend nickte.
»Es ist besser, aber viel rettet es nicht - nicht mit diesem Sweatshirt«, sagte er, aber es klang nicht gemein. Lorenz seufzte und nickte.
»Stimmt. Nasja, du hast eine wundervolle Figur. Dieses Sweatshirt ist furchtbar«, erklärte er entschieden. »Edelsteinfarben, verstehst du? Etwas Figurbetontes. Eine feine Kaschmir-Strickjacke vielleicht.«
»Ich bin im Stall und muss Sattelzeug putzen«, verteidigte ich mich.
»Ah«, sagte Lorenz und nickte. »Das ist richtig. Aber du ziehst dich immer so an. Wie ein Mann.«
Meine Augen wurden groß. »Ich ziehe mich nicht an wie ein Mann. Ich trage praktische Sachen. Weil ich auf einer Farm lebe. Und dauernd irgendwelche schmutzigen Farmsachen machen muss.«
Lorenz grinste, was echt atemberaubend war. »Ein süßer kleiner Mann.«
Ich holte tief Luft und steuerte die Sattelkammer an. Die beiden fingen wieder an zu fegen und ich konnte sie auf der Stallgasse kichern hören.
»Ich vermisse die Pferde und Kutschen«, hörte ich Charles sagen.
»Sie waren so elegant«, bestätigte Lorenz.
Ich schnallte alles Metall von einem Sattel und einer Trense und rückte dem Schmutz mit einer Bürste zu Leibe. Jemand war im Matsch geritten und der Schlamm klebte am Leder. Ich wusste, dass Reyn manchmal ritt - von Rivers sechs Pferden waren drei reitbar - und Lorenz und Anne ebenso. Vielleicht auch einige der anderen. Ich tat es nie, ob;wohl sie es mir angeboten hatten.
Lorenz fing an zu summen und steigerte sich langsam, bis er eine Passage aus >Aida< trällerte. Ich versuchte, den ro;mantischen Worten nicht zu lauschen, während ich eine Trense mit dem Zeug bearbeitete, das so passend Sattelseife heißt. Er und Charles vermissten tatsächlich Pferde und Kutschen. Das war wieder mal ein Beweis dafür, wie verschieden wir Unsterblichen sind.
Ich + Pferde = schmerzliche Erinnerungen. Ich wischte die Sattelseife ab und fing an, Lederfett aufzutragen. Ich versuchte nach Kräften, nicht an die anderen Male in meinem Leben zu denken, als ich diese Arbeit gemacht hatte. Denk an etwas anderes ... Plötzlich war mein Kopf voll mit
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