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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Gasthaus, damit sie nicht gestohlen wurden.
    Draußen wurden die Schreie lauter und ich hörte eine Reihe Explosionen, die den Boden so erschütterten, dass es mich beinahe von den Füßen gerissen hätte. Später habe ich gelesen, dass die hereinbrechende Flutwelle die Gasleitung zerstört und ein Funke das ausströmende Gas entzündet hatte, was den größten Teil der Gebäude in Flammen aufgehen ließ. Ich hielt die Stute am Halfter fest und kletterte auf ihren Rücken, obwohl sie sofort versuchte, mich wieder abzuwerfen. Aber ich ritt schon, seit ich drei Jahre alt war, und sokrallte ich beide Hände in die Mähne, presste meine nackten Füße an ihren Bauch und schrie: »Los!«
    Und sie sprang aus dem Stall direkt ins Feuer. Ich hatte keine Zügel, keine Möglichkeit, die Stute zu lenken. Mit den Händen in der Mähne warf ich mich zur Seite und sie wendete so elegant auf der Hinterhand wie eine Ballerina.
    Wir rasten aus dieser Stadt, vorbei am Feuer, mit nur etwa hundert Metern Vorsprung vor den grauen Wassermassen, die alles niederwalzten, was ihnen in den Weg kam. Wir flüchteten, als wären Gläubiger hinter uns her, und galoppierten bergauf - stundenlang, wie mir schien.
    Irgendwann sah ich mich um, aber alles, was ich erkennen konnte, war ein geflutetes Tal, und die Dächer der Häuser, von denen einige immer noch brannten, ragten merkwürdig aus dem tosenden Wasser hervor.
    Mein Nachthemd und die Ärmel meiner Jacke waren ange;sengt. Ich hatte ein paar Brandblasen an Armen und Beinen. Aber ich hatte es geschafft, hatte keine schweren Verbrennungen erlitten (Unsterbliche fühlen Schmerzen genauso wie normale Leute), war der Flut entkommen, nicht von ihr weggetragen worden, nicht ertrunken und so weiter. Die meisten anderen Leute hatten nicht überlebt. Sheffield. So hatte dieStadt geheißen.
    Ich bin gut davongekommen - mein gesamter weltlicher Besitz war ins Futter der Jacke eingenäht und so konnte ich mir neue Sachen kaufen, die hübsche, tapfere Stute verkaufen und mir eine neue Fahrkarte nach London besorgen. Das war eine echt gute Story. Ich hatte die Katastrophe besiegt! Aber jetzt, im Stall in River's Edge, konnte ich kaum schlucken. Ich saß bewegungslos da, meine Hände taten weh und meine Brust drohte zu platzen. Der saubere Sattel auf meinem Schoß schien mich zu verhöhnen - was für eine jämmerlicheunzureichende Strafarbeit.
    Die anderen Pferde. All die anderen Pferde im Stall dieses Gasthofs. Was war aus ihnen geworden? Ich hätte sie in we;nigen Sekunden alle freilassen können. Sie hätten sich in Sicherheit bringen können. Andere Flüchtende hätte ich ver;mutlich nicht retten können. Vielleicht jemand Kleines, Schmales, hinter mir auf dem Pferd. Aber die Menschen hatten alle selbst versucht, ihr Leben zu retten, und in diesem Augenblick war es mir nie in den Sinn gekommen, ihnen zu helfen.
    Oder den Pferden. Ich hatte meinen Hintern gerettet und die eingesperrten panischen Pferde ihrem Schicksal überlassen. In meinem Elend ließ ich mich auf den Steinboden der Sattelkammer sinken. Ich bin - so nutzlos. Ein solcher Versager. Es gab gar keine Worte, mich zu beschreiben. Denn diese Geschichte ist nur eine von Hunderten ähnlicher Geschichten, in denen ich heil und gesund davongekommen bin. Und hinter mir blieben jedes Mal Tod und Zerstörung und Opfer zurück.

8
    »Hm, oh. Hast du einen Moment Zeit?«
    Ich schaute auf und stellte fest, dass River an der Tür aufgetaucht war und mich anlächelte. Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen und schaffte es nicht, ein Lächeln her— vorzubringen.
    »Einen ganzen Haufen Momente?« Ihre Stimme war freundlich. Sie kam herein und setzte sich zu mir auf den staubigen Boden, auf dem Heuhalme lagen und der vom Le— deröl fettfleckig war.
    Ich nickte mit meinem üblichen Mangel an Begeisterung. Ich wusste nicht, wieso diese alten Erinnerungen eine solche Wirkung auf mich hatten - es war, als würde ich sie jetzt anders sehen als damals. Und das war so grauenhaft.
    Ich wendete das Gesicht ab, weil mir die Vorstellung, in der Öffentlichkeit zu weinen, total zuwider war.
    River legte eine Hand auf mein Knie. »Zerr die Dämonen nach draußen, wo wir sie sehen können«, sagte sie sanft. »Das ist die einzige Methode, sie loszuwerden. Sie scheuen das Sonnenlicht.«
    Aber klar, als würde ich solche Dinge jemals laut aussprechen. Ganz bestimmt nicht.
    »Vielleicht bin ich es nicht wert, gerettet zu

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