Ersehnt
aber seine uralten Krieger;instinkte sorgten dafür, dass sein Atem lautlos blieb. »Ich weiß nicht.« Ich hasste es, so unentschlossen zu sein. Ich lasse viel lieber einen flotten Spruch oder eine schnippische Bemerkung los. Meistens weiß ich genau, wie ich zu den Dingen stehe, und gebe zu allem gern meinen Senf dazu. Aber in dieser Nacht war ich zu keinem zusammenhängenden Gedanken fähig.
»Du empfindest etwas für mich.« Er war ruhig, aber beharrlich. Oh ja, allerdings. Verlangen, Begehren. »Furcht? Angst? Schmerz?«
Ich spürte, wie sich seine Muskeln anspannten, obwohl ich ihn nicht mehr berührte.
»In River's Edge geht es darum ... der zu sein, der man ist«, sagte er und es hörte sich beinahe an, als kämen die Worte gegen seinen Willen. »Wer man wirklich ist. Und dafür zu sorgen, dass das ... irgendwann okay ist.«
Mein Körper, der noch Momente zuvor sein Loblied gesungen und mich gedrängt hatte, ihn noch wesentlich intimer kennenzulernen, geriet in eine Abwärtsspirale. Ich kam von meinem Reyn-High herunter, wie ich keine zehn Minuten vorher auch von meinem Magie-High heruntergekommen war. Adrenalin und Aufregung verzogen sich aus meinen Adern und plötzlich zitterte ich wieder vor Kälte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
»Vielen Dank, Tante Kummerkasten«, sagte ich, aber wirklich bissig war es nicht.
»Es ist sinnlos, sich selbst etwas vorzulügen.« Seine Worte landeten platt zwischen uns.
Ich brachte ein ziemlich ernsthaftes Stirnrunzeln zustande. »Ehrlich? Danke für den Tipp.«
Aber dies war ein Mann, der vermutlich Wochen oder sogar Monate eisiger Belagerungen ausgehalten und darauf gewartet hatte, dass die Dorfbewohner so ausgehungert waren, dass sie keinen Widerstand mehr leisten konnten, und deshalb war meine jämmerliche Gegenwehr keine Hürde für ihn.
»Wenn du deine Gefühle nicht zulassen kannst - und zwar alle -, wirst du nie die Kraft aufbringen, die Vergangenheit hinter dir zu lassen.«
Mit diesen Worten erwischte er mich auf dem falschen Fuß und es half auch nicht, wie er dabei in die Bäume des dunklen Walds starrte. Ganz zu schweigen von dem Schnee unter unseren Füßen und dem Mondlicht, das sein Gesicht gestreift wirken ließ, als wäre er irgendein exotischer Tiger-Mensch. »Oh, als ob du wüsstest ... « Jetzt kam ich mir blöd vor, verletzlich, und als wäre ich nicht ich selbst.
Ich musste unbedingt fort von diesen ganzen Emotionen und so drängte ich mich an ihm vorbei. Ich lief ganz allein zurück und eilte über den Schnee,wo die anderen Fußabdrücke eine Art Trampelpfad hinterlassen hatten. Ich wusste nicht, ob er hinter mir war, aber ein paar Minuten später rannte ich förmlich die Stufen zur Küchentür hoch, denn ich brauchte jetzt dringend das Licht und das Lachen der anderen.
7
In meiner jüngeren Vergangenheit war der Neujahrsmorgen immer mit rasenden Kopfschmerzen, Übelkeit und häufig auch einigem Staunen verbunden gewesen, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand und wie ich dort hingekommen war. (»Nein, Officer, ich weiß wirklich nicht, wieso ich dieses Opossum-Kostüm trage. Wie habe ich Sie genannt? Oh. Das tut mir leid.«) Dazu kam stets die grauenhafte Ernüchterung, dass ich immer noch da war, immer noch ich selbst, und immer noch dasselbe machte wie immer. Dann rief gewöhnlich einer meiner Freunde an, kroch unter der Couch hervor oder bot mir eine Bloody Mary an und alles ging von vorne los.
Dieses Jahr war es anders. Ich war beim Aufwachen nicht verkatert und nicht von lauter Fremden umgeben und verspürte sogar eine vage Vorfreude auf ein ganzes neues Jahr voller Möglichkeiten. Auf Island hatten wir am Silvesterabend immer riesige Feuer entzündet und auf das neue Jahr angestoßen und uns etwas gewünscht. Das hatte ich in der vergangenen Nacht auch getan.
Ich war - aufgeregt. Sogar voller Hoffnung, aber das wollte ich mir lieber nicht eingestehen, denn sonst ging womöglich rein aus Bosheit alles schief. Ich lag in der Badewanne, beobachtete meine Zehen, die im heißen Wasser rosa wurden, und listete in Gedanken meine Fortschritte auf - die Dinge, in denen ich besser geworden war.
Ich war noch lange nicht am Ziel. Ich ruhte nicht in mir, war nicht vertrauensvoll und meine Einstellung konnte man noch lange nicht als positiv bezeichnen. Vor mir lag noch ein langer, steiniger Weg. Aber ich hatte schon ein Stückchen geschafft. Und in diesem neuen Jahr würde ich weitere
Weitere Kostenlose Bücher