Ersehnt
Lächeln verblasste einen Moment und kam dann mit doppelter Intensität zurück.
Mir wurde klar, dass ich ihn zwar nicht wollte, aber dass es doch total genervt hatte, als Nell hinter ihm her gewesen war, und jetzt schien Amy in die Fänge seiner Wikinger-Fabelhaftigkeit zu geraten. Das konnte ich gar nicht leiden: Niemand außer mir sollte sehen, wie unglaublich anziehend er war, wie wunderschön, wie tödlich. Aber offenbar war Amy auch nicht blind.
»Gibt's was Schönes zum Nachtisch?«, fragte sie Reyn; es fehlte nur noch, dass sie verliebt mit den Wimpern klimperte. Und Reyn, der bei mir immer den gequälten Schweiger gab, lächelte sie locker an. Ich blinzelte verdutzt, während ich praktisch die Engel singen hörte. Amy war wie hypnotisiert und starrte ihm gebannt in die Augen wie ein erschrockenes Kaninchen.
»Klar«, sagte er und warf sich ein Küchenhandtuch über die breite Schulter. »Irgendwas Schokoladiges.«
»Prima.« Amy bedachte uns drei mit einem Strahlen, dann folgte sie Anne durch die Schwingtür. Ohne sie wirkte die Küche irgendwie kleiner.
Durch meinen Kopf wirbelten alle möglichen Gedanken wie Abfall auf einer leeren Straße, aber alles, was ich heraus-brachte war: »Irgendwas Schokoladiges?«
»Ich werde mir was ausdenken«, sagte er und aus irgendeinem Grund war ich plötzlich stocksauer, dass er irgendwas Schokoladiges für sie machte.
Ich drehte ihm den Rücken zu und fing wieder an, auf meinem Gemüse herumzuhacken. Ich stellte mir vor, dass es Reyns Selbstvertrauen war, das ich da zerstückelte. Ich gab alles an Jess weiter, riss mir die Schürze herunter und stürmte hinaus.
Ich war vierhundertneunundfünfzig Jahre alt und eifersüchtig wie ein Schulmädchen - und das auch noch wegen eines Typen, den ich gar nicht wollte.
Schöner Mist.
***
Vielleicht interessiert es jemanden, dass diese Szene in der Küche der Höhepunkt meiner Woche war. Doch, allerdings. Von diesem Moment an ging alles nämlich nur noch bergab wie Schneemassen bei einer Berglawine.
Am nächsten Morgen machte ich mich auf zur Arbeit und mir war klar, dass ich bis nachmittags um vier mit Old Mac allein im Laden sein würde, weil Meriwether wieder Schule hatte. Mr MacIntyre war noch gereizter und feindseliger als sonst. Vielleicht waren ihm die Feiertage aufs Gemüt geschlagen. Ich folgte meiner üblichen Arbeitsbienen-Routine, räumte Ware ein, räumte auf, fegte, sortierte die Quittungen und machte eine Liste der Schecks, die zur Bank gebracht werden mussten. MacIntyre's Drugs: der Laden, den das Online-Zeitalterübersehen hat.
Ich ging dem alten Mac aus dem Weg, so gut es ging, und er sprach den ganzen Tag kaum zwei Worte mit mir. Um vier kam Meriwether herein, das farblose Haar windzerzaust. Sie lächelte und schien wirklich erfreut, mich zu sehen. Dann ging sie nach hinten, um ihre Schulsachen abzulegen und ihre Karte zu stempeln. Ihr eigener Vater bestand darauf, dass sie ihre Zeitkarte stempelte.
Ich hatte ein paar Regale übrig gelassen, damit wir zusammen die Ware einräumen konnten, ohne von Mr MacIntyre angeschrien zu werden. Kurz darauf hatten wir uns in Gang vier verzogen und packten Fußpuder und Einlegesohlen aus.
»Wie war der Silvester-Tanzabend?«, flüsterte ich. Old Mac war hinter dem Apothekentresen und ich wollte dieBestie nicht wecken.
»Gut , aber auch total ätzend«, flüsterte Meriwether zurück. »Anfangs war es ganz toll. Lowell war da, er ist echtnett, und der DJ war auch gut. Und mein Kleid war ein Traum. Ich konnte nicht fassen, dass mein Dad mich wirklich hat hingehen lassen. Das alles war gut.«
»Und was war ätzend?« Ich schob die Schachteln auf ihre kleinen Metallschienen.
Meriwether verzog das Gesicht. »Dann sind ein paar Chaoten reingeplatzt. Die waren total abgefüllt. Sie haben eine Riesenszene gemacht, und als Mr Daly sie rauswerfen wollte, haben sie angefangen, Sachen kaputtzuschlagen. «
»Oh, Hammer «, sagte ich. »Die haben da randaliert?« »Ja. Einer von den großen Lautsprechern des DJs ist zu Bruch gegangen und sie sind gegen den Tisch mit dem Essen gewankt. Das ganze Ding ist zusammengebrochen und alle Snacks waren im Eimer. Wir waren echt sauer.«
»Das ist ja fies«, sagte ich und in meinem Kopf liefen Bilder ab, wie ich ähnlich netten, arglosen Leuten etwas Vergleich;bares antat. »Hast du die Typen gekannt?«
»Ein paar davon. Sie sind mal auf meine Schule gegangen, haben
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