Ersehnt
aber abgebrochen. Ein Mädchen namens Dray und ein Typ, der Taylor heißt. Die anderen kannte ich nicht.« Meine Hand blieb mitten in der Luft stehen. Dray? Dray, die ich auf den richtigen Weg schubsen wollte? Ich hatte sie ein paar Wochen nicht mehr gesehen, aber als wir uns das letzte Mal begegnet waren, hatten wir ein echt gutes Gespräch gehabt. Sie erinnerte mich unangenehm an mich, und wenn es mir gelang, sie zu retten, bevor sie sich selbst zerstörte, würde mir das mehr Pluspunkte auf meiner Lebenstafel einbringen - sozusagen.
»Das ist echt blöd», sagte ich. »Die waren an deiner Schule?» »Ja. Taylor war im letzten Jahr, aber er wurde zwei Monate vor seinem Abschluss rausgeworfen, weil er beim Kiffen erwischt wurde. Dray war in meinem Jahrgang. Sie war ein echtes Biest. Aber ich habe immer gedacht, dass sie es zu Hause vielleicht schwer hat oder so. Mein Dad lässt ihre Mutter hier nichts mehr kaufen, weil ihre Schecks immer platzen.« Meriwether machte ein unglückliches Gesicht. »Aber das gibt ihr trotzdem nicht das Recht, den einzigen Tanzabend zu ruinieren, zu dem mein Dad mich jemals hat gehen lassen.«
»Ja, ich weiß. Das ist echt mies. Was meinst du, wirst du mal mit Lowell ausgehen?« Wer nennt sein Kind denn heutzutage noch Lowell?
»Ich weiß nicht, ob mein Dad das erlaubt. Aber ich sehe ihn in der Schule. Wir können manchmal beim Mittagessen zusammensitzen.« Jetzt lächelte sie wieder und wir leerten den Karton. Draußen war die Sonne untergegangen und der dunkle Himmel sah grau und trüb aus, weil die Wolken so tief über dem Ort hingen.
»Was macht ihr da?« Mr Maclntyres mürrische Stimme ließ mich beinahe zusammenzucken. Seit der Sache mit dem geworfenen Behälter wirkte er etwas gedämpfter, als hätte ihn das so geschockt, dass er seinen Zorn jetzt ein wenig im Zaum hielt. Meriwether schien ihm das nicht mehr übel zu nehmen. Ich wünschte, ich könnte mehr für sie tun. Ich zeigte auf die leeren Plastikboxen.
»Die Kisten nach hinten bringen«, sagte ich und tat es dann auch.
Als ich zurückkam, staubte Meriwether die Regale ab. Als sie den Staubwedel wieder unter den Tresen schob, hörten wir etwas herunterfallen. Mit einem Stirnrunzeln bückte sie sich und hob es auf. Es war ein kleiner Bilderrahmen und ihr Gesicht erstarrte, als sie ihn betrachtete. Ich starb fast vor Neugier, tat aber so, als hätte ich nichts gemerkt, für den Fall, dass sie das Bild einfach wieder zurücklegen wollte.
Aber sie kam damit auf mich zu und zeigte es mir.
»Das ist meine Mom«, sagte sie kaum hörbar.
Ich betrachtete das Foto, auf dem Meriwether auf einer Couch aus grünem Kord saß und in die Kamera lächelte. Sie sah aus wie zwölf oder dreizehn, also musste es kurz vor dem Tod ihrer Mutter gewesen sein. Ihre Mutter sah genauso aus wie sie, nur älter. Ich meine damit, genau so wie sie. So, als könnten sie und Meriwether Zwillinge sein, wenn sie im selben Alter wären. Kein Wunder, dass der alte Mac es kaum ertrug, sie anzusehen. Apropos Old Mac - da klappte mir fast der Unterkiefer herunter. Er sah so normal, so gesundaus. Er lächelte breit, schaute seine Frau an und hatte den Arm auf der Rückenlehne der Couch liegen. Ich konnte nicht fassen, wie glücklich er aussah - wie ein anderer Mensch.
»Das muss dein kleiner Bruder sein«, murmelte ich. Auch er sah glücklich aus, wie er da zwischen seinem Vater und Meriwether saß. Meriwether war hellhäutig und blond wie ihre Mutter, aber ihr Bruder hatte die dunklen Haare und Augen von Old Mac.
»Ja, das ist Ben«, flüsterte sie halb erstickt.
»Was zum Teufel macht ihr da?« Das Brüllen erschreckte uns beide und ich hätte beinahe das gerahmte Bild fallen lassen. Mr MacIntyre stand da, seine kurzfristige Zurückhaltung war verflogen und er bebte vor Wut. Seine Arm schoss vor, und als er mir das Bild aus der Hand riss, zerkratzte er mir die Handfläche. »Wie kannst du es wagen! Wie kannst du es wagen, das -« Er machte den Fehler, einen Blick auf das Bild zu werfen, und in einem Cartoon wäre er der Typ gewesen, den jemand erschossen hat und aus dem nun miteinem Zischen die Luft entweicht. Aber dann riss er sich zusammen, presste sich das Bild an die Brust und schlug mit der anderen Hand auf den Tresen.
»Wag es nicht, jemals wieder seinen Namen zu erwähnen!« Seine dröhnende, hasserfüllte Stimme schien den ganzen Laden zu erfüllen. Meriwether brach in Tränen
Weitere Kostenlose Bücher