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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Geschrei, die Gerüche - das alles war ganz anders als ... nun, als das moderne Massachusetts zum Beispiel.
    Mir fiel wieder ein, dass River aus Genua stammte. Sie war geboren worden - und zwar 718? Und sie gehörte einem der bedeutendsten Unsterblichen-Häuser an, dem Haus von Genua. Sie hatte also sehr viel Macht geerbt.
    »Oh ... «
    Jetzt erkannte ich es. Die Plattform war etwa einen Meter fünfzig hoch und an der Vorderseite hing eine Flagge: ein Wappen in Rot und Grün mit einer zischenden dreiköpfigen Schlange. Wie nett. Auf der Plattform standen mindestens zwanzig Leute und es dauerte einen Moment, bis ich ka;pierte, was ich da sah, das Handeln, die Gebote, die aus der Menge kamen. Es war eine Sklavenauktion. Ich hatte so etwas schon oft gesehen, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Teilen der Welt - es war wirklich erstaunlich, wieverbreitet die Sklaverei bis fast in die Neuzeit gewesen war. Bei dieser Gruppe handelte es sich um heruntergekommene Weiße, die verkauft wurden an ...
    »Wer kauft sie?«, fragte ich River.
    »Überwiegend Männer aus den islamischen Ländern im Osten«, sagte River.
    »Woher kommen die Sklaven?«
    »Von überall her. Die meisten sind Slawen«, sagte River.

    »Ein paar aus dem Baltikum, ein paar Türken. Aber über;wiegend Slawen.«
    Ich fragte mich, wieso sie wollte, dass ich das sah, als ich etwas Rotes aufblitzen sah. Auf der Plattform, hinter den Sklaven, stand eine Frau. Sie drehte mir den Rücken zu und schien die Reihenfolge zu bestimmen, in der die Sklaven angeboten wurden. Auf ihre Anweisung zerrten kräftige Männer die Leute mitleidlos nach vorn. Es waren Männer, Frauen und Kinder. Der Auktionator schrie nonstop auf die Käufer ein, beschrieb die Sklaven und versuchte, die Gebote hochzutreiben. An der Seite standen zwei große Männer mit dunklen Haaren und Augen. Einer von ihnen sprach mit der Frau und sie drehte sich lachend um.
    Es war die junge River, noch keine zweihundert Jahre alt. Sie war wunderschön und das schwarze Haar hing ihr kunstvoll geflochten über den Rücken. Sie trug eine kleine weiße Leinenkappe, die unter dem Kinn zugebunden war. Ihr Kleid war schlicht, aber edel, und verglichen mit dem Rest der Menge stammte sie eindeutig aus der Oberklasse.
    Sie rief etwas zurück und beide lachten. Dann sprach sie mit dem Helfer des Auktionators, der sich verbeugte und nickte. Ihre klaren braunen Augen wanderten abschätzend über die Menge - sie wollte potenzielle Käufer ausfindig machen. Sie zählte die noch zu verkaufenden Sklaven und berührte fast beiläufig die braune Ledertasche, die sie um den Bauch geschnallt trug.
    Ich drehte mich zu der River, die neben mir stand. Sie betrachtete die Szene gelassen, aber in ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit.
    »Wir waren sehr erfolgreiche Sklavenhändler«, sagte sie. »Meine Brüder und ich. Wir operierten als große, schwer überschaubare Familie und konnten uns fast drei Jahrhunderte in Genua halten, bis die Hexengerüchte aufkamen.«
    »Wer sind diese Männer?«, fragte ich und zeigte auf die beiden Dunkelhaarigen.
    »Meine Brüder«, sagte sie. »Zwei von ihnen.«
    Einer der Männer rief: »Diavola!«
    Die River auf der Plattform drehte sich um und hob die Brauen, dann rief sie ihm eine Antwort zu.
    »War Diavola dein erster Name?«
    »Mein dritter«, sagte River. »Der Name, mit dem ich geboren wurde, war Aulina.«
    Ich kapierte es nur allmählich: River, einer der wenigen wirklich guten Menschen auf der Erde - jedenfalls der beste Mensch, dem ich jemals begegnet war - hatte menschliche Wesen für Geld verschachert. Jahrhundertelang.
    Auf der Plattform wurde eine schluchzende Frau von ihrem schreienden Kleinkind weggerissen. Diavola sah ungerührt zu. River wandte sich ab.
    »Ich bin bereit zu gehen«, murmelte sie und wieder spürte ich ihre Fingerspitzen an meinen Schläfen. Mit dem nächsten Atemzug hatte mich die Wirklichkeit wieder und der Sklaven;markt verblich.
    Ich brauchte die Augen nicht zu öffnen. Ich glaube, sie waren die ganze Zeit offen. Es war eher so, als würde River langsam aber sicher wieder vor mir auftauchen.
    Sie ließ die Hände sinken und hob die Beschwörung auf. So wie Beschwörungen gebildet wurden, Schicht um Schicht, so wurden sie auch wieder aufgehoben. Ich verspürte das übliche panische Entsetzen, als sich das Gefühl der Glück;sehligkeit auflöste, die Welt verwaschen und viel grauer aus;sah und ich

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