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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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antwortete er. »Aber es klingt nett.« Er stapelte das letzte Würstchen aufs Tablett und verzog sich nach draußen, um trotz des furchtbaren Wetters den großen Gartengrill zu benutzen.
    »Und bei dir?«, erkundigte sich Amy.
    »Nein«, sagte ich. »Meine Familie ist schon vor langer Zeit gestorben.« Ich kippte eine Tonne gewürfelte Kartoffeln zu Zwiebeln und begann zu rühren. Die Leute hier fuhren voll auf Kartoffeln ab - man konnte nie genug davon braten oder kochen.
    »Oh.« Amy sah schockiert aus.
    Das ist über vierhundert Jahre her«, beruhigte ich sie. Sie sah überrascht aus. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie heute wohl wären. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie sich verändert hätten, sich den modernen Zeiten angepasst, weißt du?«
    Reyn kam wieder herein und klopfte sich den Schnee von den Stiefeln.
    »Ja, ich weiß, was du meinst«, antwortete Amy.
    »Für mich sind sie gewissermaßen in der Zeit eingefroren«, sagte ich und spürte, wie Reyn erstarrte, als ihm klar wurde, worüber ich sprach. Normalerweise platze ich nie mit Infos über meine Familie heraus, sondern tarne meinen Schmerz mit zickigen Bemerkungen. Aber ich war in letzter Zeit so deprimiert, dass mir sogar die zickigen Bemerkungen aus;gegangen waren.
    Also zerrte ich meine Dämonen hinaus ins Sonnenlicht, wie River es mir geraten hatte. »Ich kann sie nur so vor mir sehen, wie sie um 1500 waren. Das ist echt gespenstisch.«

    »Das kann ich mir vorstellen«, murmelte Amy, der das Thema offensichtlich unangenehm war.
    »War es interessant zuzusehen, wie sich deine Familie im Laufe der Zeit verändert hat?«, fragte ich höflich.
    »Nicht wirklich >interessant<«, meinte Amy und nahm sich geistesabwesend ein weiteres Salatblatt aus der Schüssel. »Es war irgendwie normal, weißt du? Die Klamotten ändern sich, Frisuren kommen und gehen, coole neue Dinge werden erfunden - aber das passiert nicht alles auf einmal. Es geschieht allmählich, deshalb kann es einen nicht überraschen oder schocken. Es ist einfach das normale Leben.«
    Ich hatte noch nie gehört, dass jemand seine Unsterblich;keit als normal bezeichnete, was sie für mich zu einem ganz neuen Konzept machte. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Kartoffeln und Zwiebeln und rührte darin herum, damit nichts anbrannte, aber in meinem Kopf hatte sich eine Patchworkdecke aus neuen Gedanken ausgebreitet. Mir ist mein Leben immer wie eine niemals endende Katastrophe vorgekommen - eine lange Reihe von schrecklichen Erlebnissen, gelegentlich unterbrochen von etwas, das gut oder lustig war, aber immer wieder in die Tragödie führte. Und es waren nur die Tragödien, an die ich mich erinnerte, die michverfolgten. Ich war nie stark oder entschlossen genug gewesen, mich umzubringen, aber ich war auch nie so zufrieden gewesen, mein Leben als etwas Positives zu betrachten, als eine lange Reise voller Chancen, die ich ergriffen hatte, Menschen, die ich geliebt hatte, wenn auch nur für eine Weile.
    Normal. Was für ein abgefahrenes Konzept.
    Ich aß wie ein Zombie und bekam kaum mit, was die anderen redeten. So viel zum Nachdenken. So viele neue Möglichkeiten, die Dinge zu betrachten.
    Als ich nach oben ging, fiel mir der Tür-Verschließzauber für mein Zimmer nicht mehr ein.
    Als Nell noch ihr Unwesen hier getrieben hatte, hatte Anne mir einen einfachen Verschließzauber beigebracht, damit mir niemand eine unwillkommene Überraschung im Zimmer hinterlassen konnte. Mittlerweile verschloss ich meine Tür immer auf diese Weise, ob ich nun im Zimmer war oder nicht, denn ich fühlte mich zu verletzlich, um meine Tür un;verschlossen zu lassen. Nicht, dass mich hier etwas bedrohen würde. Aber ... man konnte ja nie wissen.
    Und jetzt stand ich da, erschöpft und von neuen Gedanken überwältigt, und kam nicht mehr in mein Zimmer. Als ich versuchte, mich an die Zauberformel zu erinnern, wurde es in meinem Kopf so düster, als hätte sich ein ganzer Schwarm Bienen breitgemacht. Ich unternahm mehrere Anläufe, aber meine Hand erstarrte jedes Mal in der Luft, wenn ich ver;suchte einen Sigil zu formen, an den ich mich nicht mehr erinnern konnte.
    Mist. Was war nur los? Ich hörte Schritte auf der Treppe.
    Ich wollte mich hier nicht ertappen lassen wie die letzte Idiotin, vor allem nicht, nachdem ich in der letzten Woche diesen Raum verwüstet hatte. Denk nach, denk, denk. Plötzlich war es wieder da wie ein Blitz und ich

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