Ersehnt
gewesen, mit so perfekten Gesichtszügen, dass der Betrachter selbst nach zweitausend Jahren von seiner Schönheit geblendet war.
Incy sah ganz genauso aus. Ehrlich gesagt war ich richtig erschrocken gewesen, als ich dieses Mumienbild aus Fayum gesehen hatte, denn im ersten Moment hatte ich gedacht, dass Incy mir einen Streich spielen wollte und deshalb sein eigenes Bild in die Sammlung des Museums geschmuggelt hatte.
Daran musste ich jetzt denken, als ich ihn schlafen sah, das Gesicht so glatt und entspannt.
Incy. Er und ich - wir kannten uns gut, sehr gut sogar. Wir hatten einander krank, wütend, kotzend, himmelhoch jauchzend, gelangweilt, betrunken und betäubt erlebt. Wir hatten einander die beste, aber auch die schlimmste Seite gezeigt und waren immer füreinander da gewesen. Sogar während seiner Lala-Burkhard-Geschichte. Sogar während meiner Evan-Piccolo-Geschichte, über die ich heute noch schmerzlich das Gesicht verzog. Gott, der arme Evan.
Jetzt, wo ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich unsere »besten« Seiten nicht wirklich benennen konnte. Wann hatte einer von uns je seine beste Seite gezeigt? Hmm. Sollte mir das zu denken geben? Ich werde Bescheid sagen, wenn ich es weiß.
Mir wurde wieder bewusst, wie grauenhaft ich mich fühlte, und ich sank in den Sessel am Fenster. Ich brauchte dringend Aspirin, das ich übrigens für eines der größten Geschenke der Zivilisation halte. Ich schloss die Augen.
Ich fragte mich gerade, ob es sehr mühsam sein würde, ein paar Kopfschmerztabletten aufzutreiben, als ich bemerkte, dass Incy sich im Bett auf einen Ellbogen gestützt hatte und mich beobachtete.
»Hi«, sagte ich ohne rechte Begeisterung.
»Was du brauchst, ist ein Tag im Spa«, sagte er und stieg aus dem Bett. Er streckte sich, sein maßgeschneidertes Hemd war total zerknittert. Dann atmete er tief aus und lächelte, bereit, den Tag zu beginnen.
»Wie machst du das?«, fragte ich, allerdings nur halblaut, damit mein Kopf nicht implodierte.
»Wie mache ich was?« Incy steuerte das Badezimmer an. »Du siehst fantastisch aus.« Ich machte eine fahrige Bewegung mit der Hand, die eine Linie von seinen Fußsohlen bis zu seinen Haarspitzen zeichnen sollte. »Du siehst ausgeruht aus und springst putzmunter aus dem Bett. Wieso bist du nicht total fertig? Wieso hast du keinen Kater? Du warst letzte Nacht komplett abgefüllt. Zumindest daran erinnere ich mich.«
»Oh, ich trinke nicht so viel, wie es aussieht«, sagte er leichthin. Er zog sein Hemd aus und warf damit nach mir. »Los, zieh dich an. Wir lassen dich wieder aufwuscheln und in Form kneten. Du kannst dir alle Toxine aus dem zarten System dampfen lassen.«
Das hörte sich wirklich verlockend an und sechs Stunden später fühlte ich mich wie neugeboren. Ich war bedampft, geknetet und massiert worden und hatte heiße Steine auf dem Rücken gehabt. Das alles mit einem dünnen Baumwollschal um den Hals: das exzentrische Mädel mit dem Schal.
Ich hatte eine Gallone Kokoswasser und grünen Tee getrunken und eine Schale braunen Reis mit einem Spritzer Essig gegessen. Das schmeckt besser, als es sich anhört. So porentief rein war mein Gesicht das letzte Mal in den späten Siebzigern nach einem sehr, sehr schlimmen Sonnenbrand gewesen, bei dem sich mein gesamtes Gesicht abgepellt hatte.
Ich hatte eine Mani-und eine Pediküre gehabt und war geschminkt und gefönt worden. Meine Haare wippten auch jetzt wieder ganz grandios. Nachdem Katy mich in ein ärmelloses Rollkragenkleid von Armani gesteckt und ich meine verpflasterten Füße in knallpinke Stiletto-Pumps gezwängt hatte, sah ich aus wie ein etwas zu kleines Model. Mit ätzenden, knallig magentafarbenen Haaren. Gott, nee.
Am Abend gingen Incy, Katy und ich zum Essen in die B&G Austernbar in South End. An der Theke gab es rohe Austern in einem Dutzend Geschmacksrichtungen und Katy beteuerte, dass auch die Weinkarte hervorragend sei. Ich merkte, dass die Leute mich anstarrten, und vermutete, dass es wegen meiner Haare war, aber Incy versicherte mir, dass es nur an meiner umwerfenden Ausstrahlung lag und dass die Leute sich fragten, wer ich wohl war.
Ich muss zugeben, ich stand darauf. Ich stand voll drauf, in ein gutes Restaurant zu gehen, statt in, sagen wir mal, Auntie Lou's Frittenbude. Ich stand drauf, teure Kleidung zu tragen statt Flanellhemd und Jeans. Mir war bisher gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich auf all das
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