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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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River's Edge? Ein Urlaub, in dem ich mich von meinem Leben erholte? Jetzt war ich zurück und lebte wieder mein altes Leben.

    Und genoss es in vollen Zügen. War ich vorher wirklich so unglücklich gewesen? War Incy tatsächlich böse?
    Ich meine, Reyn hatte Hunderte Menschen getötet, wenn nicht sogar Tausende. Meine Eltern hatten Leute umgebracht - darunter den Bruder meines Vaters. River und ihre Brüder hatten die eigenen Eltern ermordet. Und alles, was Incy getan hatte, war, einen Taxifahrer zu verkrüppeln. Klar, das war nicht in Ordnung gewesen. Aber im Vergleich zu den anderen? Und der Auslöser war vermutlich die Dunkelheit gewesen, die ich von meinen Vorfahren geerbt hatte, wofür man mir doch sicher keinen Vorwurf machen konnte, oder?
    Ich trank meinen Champagner und wälzte dabei mehr Gedanken, als ich es seit meinem Abgang aus River's Edge getan hatte. Meine Augen gingen mit den Gedanken auf Wanderschaft, und als hätten meine Erinnerungen ihn materialisiert, entdeckte ich einen großen Mann mit breiten Schultern und zerzaustem dunkelblondem Haar. Mir stockte der Atem, als ich nach Einzelheiten Ausschau hielt. Er war ungefähr eins achtzig groß. Konnte das wirklich Reyn sein? War er gekommen, um mich zu suchen? Mein Herzschlagbeschleunigte sich so stark, dass mein Puls laut summte wie eine Fliege in einer Flasche.
    Dann drehte er sich um. Ich hielt die Luft an und steuerte bereits auf ihn zu, überlegte, was ich sagen sollte, wie ich meine Flucht erklären und das Ganze mit einem Lachen abtun konnte.
    Doch als ich sein Gesicht sah, war die Enttäuschung so groß, dass ich beinahe ins Stolpern kam. Es war ein glattes Gesicht, das aussah, als gehörte es einem Anwalt oder Anlageberater. Seine Gesichtszüge waren weich und eben, die rundlichen blauen Augen vollkommen unspektakulär. Andere Frauen würden vermutlich finden, dass er gut aussah, aber er war so weit unter dem, was ich zu sehen gehofft hatte, dass mir beinahe die Tränen kamen.
    Als er sich wieder abwandte und über etwas lachte, das jemand gesagt hatte, sahen sein Rücken und seine Schultern kein bisschen mehr aus wie die von Reyn. Dieser Typ war zu gepflegt, zu zivilisiert, zu wohlerzogen, um Reyn zu sein oder auch nur in Reyns Welt zu gehören. Reyn hatte sich mehr als vierhundert Jahre lang eine Schneise durchs Leben geschlagen und seine eckigen Züge, die leicht schrägen Augen und der ständige Ausdruck misstrauischer Wachsamkeit ließen daran keinen Zweifel.

    Er sieht nicht immer wachsam aus ... Der Champagner prickelte warm in meinem Magen, als ich daran zurückdachte, wie das Verlangen Reyns Gesicht gerötet hatte, wie sich sein Mund auf meinen gepresst hatte und wie seine starken Hände mich an ihn gedrückt hatten. Reyns heißer Ausdruck entschlossenen Eroberns war mit der kühlen Gewandtheit dieses Mannes nicht zu vergleichen.
    Mein eigenes Gesicht wurde auch rot und plötzlich war es zu heiß, zu voll, zu hell und zu laut. Ich suchte nach Incy und entdeckte ihn einen Moment später bei einem sehr hübschen Mädchen. Es lächelte mit großen Augen zu ihm auf und starrte in seine dunklen Augen. Die junge Frau war fast so groß wie er und ihr Kleid noch knapper als meins - ein trägerloses Minikleid aus dunkellila Satin mit Perlstickerei am oberen und unteren Rand. Incy beugte sich dicht zu ihr und flüsterte ihr etwas zu. Sie schlug die Augen nieder, als würden seine Worte sie gleichermaßen schockieren und erregen. Was vermutlich der Fall war.
    Während ich zusah, wie er ihr ins Ohr murmelte, sah ich ihre Augen glasig werden und fragte mich, wie viele Drinks sie wohl hatte und ob Incy ihren Zustand ausnutzen würde.
    Das hatte ich schon oft genug erlebt, auch wenn sein Charisma gewöhnlich ausreichte, um eine ganze Schar Bewunderer freiwillig vor ihm niederknien zu lassen. Allein in diesem Raum gab es sicher mindestens dreißig Leute, Männlein und Weiblein, die nur zu gern mit ihm nach Hause gegangen wären, wenn er sie nur gefragt hätte.
    Ich musste beinahe lächeln, als ich daran dachte, wie mühelos Incy andere zu allem Möglichen überreden konnte.
    Wir hatten uns aus mehr Strafzetteln herausgewunden, als ich zählen konnte, hatten uns für abgelaufene Artikel Entschädigungen auszahlen lassen oder in ausgebuchten Hotels doch noch ein Zimmer gekriegt. Er hatte Menschen ihre Kleider, ihr Geld, ihre Verbindungen und ihren Einfluss abgeschwatzt, so lange ich

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