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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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stoisch zu und trat beiseite, um die Absperrung zu öffnen. Die Wartenden murrten protestierend - wer weiß, wie lange die dort schon standen, und es war eiskalt. Der Türsteher brüllte ihnen zu, dass sie die Schnauze halten sollten, und wir sechs rauschten hinein. Ich muss zugeben, dass ich mir echt königlich vorkam, wie ein Promi an diesen armen Schlangestehern vorbeigewinkt zu werden. Es fühlte sich fantastisch an. Nach zwei Monaten körperlicher Ertüchtigung bei der »Low Society« genoss ich das Gefühl, wieder ganz oben zu sein.
    Drinnen brauchten meine Augen eine Minute, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Erleuchtet war nur die Bühne, der ein wunderschönes Mädchen in einem roten Plastik;Minirock mit seiner Retro-Band auftrat. Die Luft war ange;füllt mit Rauch und Parfüm, lauten Stimmen und noch lauterer Musik. Die Energie in diesem Laden knisterte förmlich, wie Elektrizität. Fast wie Magie.
    »Ich wusste gar nicht, wie sehr ich das alles vermisst habe!«, schrie ich Stratton ins Ohr, wozu ich mich auf dieZehenspitzen stellen musste. Er grinste und nickte mir zu. Um ihn nicht zu verlieren, hielt ich mich hinten an seiner Jacke fest. Zum Glück war er so groß und breit wie ein Linebacker beim Football und ich ließ mich von ihm bis zur total überfüllten Theke ziehen.
    Eine halbe Stunde später hatten wir unseren eigenen Tisch mit einer halbrunden purpurroten Couch. Ich trank einen Whisky Sour und Katy demonstrierte ihre Fähigkeit, nur mit der Zunge den Stiel einer Kirsche zu verknoten.
    Die guten Zeiten waren zurück.

19
    Leider war die Lernkurve hier auf der Hacienda Liberty ziemlich flach. Ich hatte ganz vergessen, welchen Preis ich für die guten Zeiten zu zahlen hatte. Ich wachte am
    nächsten Nachmittag mit einem pappigen Geschmack im Mund auf und hatte das Gefühl, mein Schädel würde gleich platzen. Im Ernst. Als ich den Kopf hob, rechnete ich wirklich fast damit, große Stücke davon auf dem Kissen liegen zu sehen wie bei einer aufgeplatzten Melone.
    Sorry. Aber es waren echt fiese Kopfschmerzen.
    Ich sah an mir herunter; ich hatte in meinen Klamotten geschlafen. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was sie gekostet hatten. Wahrscheinlich konnte man sie problemlos reinigen lassen. Wenigstens hatte ich ins Hotel zurückgefunden. Deprimiert zickte ich mich selbst an: Ob es womöglich einen Zusammenhang gab zwischen zu viel Alkohol in der Nacht und totaler Übelkeit am nächsten Tag? Auszuschließen war es sicher nicht, oder?
    Ich kroch aus dem Bett und wankte ins Badezimmer, wo ich mich gern übergeben hätte, es aber nicht konnte. Ich zerrte mir die Kleider vom Leib und betrachtete die riesigen Blasen, die die entzückenden Schuhe, in denen ich stunden-lang getanzt hatte, an meinen Füßen hinterlassen hatten. Ich zog einen der Hotelbademäntel an und ging ins Wohnzimmer der Suite.
    Stratton, der tief schlief, hatte seinen großen Körper auf das viel zu kurze Sofa gezwängt und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er sich umdrehte und auf den Boden krachte. Was sehr witzig sein würde. Cicely schlief zusammengerollt in einem Sessel. Sie hatte einen Schuh ausgezogen und ihr ganzes Make-up war verschwunden. Sie sah aus wie ein Kind, das auf der Party seiner Eltern eingeschlafen war. Die Suiten der Freunde waren auf der anderen Flurseite, aber den Flaschen nach zu urteilen, die überall herumlagen, war die Party nach unserer Rückkehr hier weitergegangen, und dann war ihnen der Weg zu weit gewesen.
    Ich spähte in Incys Zimmer und hoffte nur, dass ich dort nichts Grauenvolles vorfinden würde. Das tat ich nicht. Er schlief in seinem eigenen Bett, einen Arm über dem Gesicht. Katy lag neben ihm, aber sie war vermutlich nur dort zusammengeklappt - wir alle vermieden romantische Beziehungen untereinander, was eigentlich erstaunlich und für unsere Verhältnisse ungewöhnlich schlau war.

    Ich stand still da und schaute Incy beim Schlafen zu. Im Metropolitan Museum hatte ich mal das Grabporträt eines jungen Römers gesehen, der vor zweitausend Jahren gestorben war. Er hatte dunkle Haut und große dunkle Augen gehabt, eine gerade Nase und einen vollen Mund. Ich hatte nicht gewusst, ob er in der Blüte seiner Jahre gestorben war oder ob es die idealisierte Abbildung eines alten Mannes war, der wollte, dass man ihn auf dem Höhepunkt seines Charmes in Erinnerung behielt. Auf jeden Fall war er auf eine maskuline,klassische Art wunderschön

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