Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
ihr über den Tisch eine neue Tasse Kaffee hin. »Allie ist aufgewacht. Diana und Paddy sind bei ihr.« Er deutete auf einen Stuhl. Er sah nicht besser aus als vergangene Nacht; seine Lippen hatten immer noch einen beunruhigenden Anflug von Blau, als Kate sich ihm gegenüber setzte.
»Wie geht es ihr?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte lieber warten, bis sie runterkommen. Sie will nicht, daß wir uns da oben alle in ihrem Zimmer drängeln.« Außerdem schaffe ich es einfach nicht, die Treppe hochzukommen. Der Gedanke, obwohl unausgesprochen, war deutlich in seinen Augen zu lesen.
Kate wandte den Blick ab. Es schmerzte sie zu sehen, wie krank er war. »Sobald Paddy runterkommt, sollten wir einen Arzt holen, denke ich.«
»Und wir müssen der Polizei Bescheid sagen.« Er blickte in seine Kaffeetasse, rührte nachdenklich darin herum und beobachtete die Bewegung der Flüssigkeit, in der sich die Deckenlampe spiegelte. »Ich weiß, daß ihr alle so eine verrückte Idee habt, daß dort draußen ein Geist rumspukt, Kate. Kommt zur Besinnung Leute, wie Allie sagen würde. Geister schlagen keine großen, starken Männer tot.« Schließlich hob er den Blick und sah sie an. »Seid vorsichtig. Bitte seid vorsichtig -« Er brach ab, und sie sah, wie ein Lächeln sein Gesicht aufhellte, wie es kurz um seinen Mund huschte und dann erstarb. Sie folgte seinem Blick und drehte sich auf ihrem Stuhl herum. Alison stand in der Tür zur Treppe. Sie trug ihr Nachthemd, das Haar hing ihr zerzaust um die Schultern. Sie blickte sich im Zimmer um, als ob sie es noch nie zuvor gesehen hätte.
»Allie?« Roger stand auf und schob dabei mit einem gräßlich schrillenden Geräusch, das an den Nerven zerrte, den Stuhl über die Fliesen zurück. »Ist alles in Ordnung, Sweetheart?«
Sie bewegte leicht den Kopf, als hätte sie Schwierigkeiten, klar zu sehen, und blickte Kate und ihn verständnislos an. Ihr Körper schwankte hin und her. Hinter ihr erschien Patrick in der Tür. Sein Gesicht war weiß. »Allie?« Er drückte sich an ihr vorbei. »Allie, setz dich. Setz dich. Ich hole dir was zu trinken.« Hinter seinem Rücken gestikulierte er wild in Richtung Roger und Kate.
Sie blickten sich an. Die Atmosphäre im Zimmer war plötzlich elektrisch geladen. Alison machte wieder einen Schritt nach vorn. Sie setzte mit enormer Vorsicht einen Fuß vor den anderen, als würde der Boden schwanken wie das Deck eines Schiffs. Als sie so auf sie zuging, sprangen die beiden Katzen, die neben dem Feuer geschlafen hatten, vom Stuhl, auf dem sie ineinanderverschlungen geschlafen hatten, und flitzten davon. Innerhalb von Sekunden waren sie durch die Katzenklappe verschwunden. Kate schaute ihnen verdutzt hinterher. Ihre Augen hatten wild geleuchtet; das Fell im Nacken und auf dem Schwanz war vor Schreck gesträubt. Stirnrunzelnd schaute sie zurück zu Alison, die wieder stehengeblieben war, und sie fand, daß das Mädchen aussah, als sei es betrunken.
Roger hatte denselben Gedanken. »Alison?« Seine Stimme war scharf. »Was ist los mit dir?«
»Sie hat Mum angegriffen«, murmelte Patrick mit heiserer Stimme. Er erreichte den Tisch und rutschte dahinter, brachte ihn zwischen sich und seine Schwester. »Sie ist verrückt geworden. Oh, Dad, was geschieht hier bloß?« Sein Gesicht war bleich und angespannt. Er sah verängstigt aus.
Roger warf einen schnellen Blick auf ihn und schaute dann wieder seine Tochter an. Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos. Sie tat wieder einen Schritt nach vorn, die Hände vor sich ausgestreckt, als taste sie in völliger Dunkelheit herum.
»Alison!« sagte Roger laut. »Antworte mir! Was fehlt dir?« Er sah schnell seinen Sohn an. »Wo ist Di? Ist sie verletzt?«
Patrick schüttelte den Kopf. »Nur geschockt. Sie kommt gleich -«
Er wurde von einem plötzlichen, langsamen Lachen unterbrochen. Das Geräusch, bemerkte er erschaudernd, kam von Alison, aber es war nicht ihre Stimme. Kate überlief es eiskalt, als sie das Mädchen ansah.
»Niemand.« Alison sprach langsam, die Stimme war heiser. »Niemand wird dieses Haus verlassen. Niemand wird je herausfinden, was passiert ist.«
Hinter ihr erschien Diana in der Tür. Kate hörte, wie Roger scharf den Atem einzog, als er seine Frau anblickte. In ihrem Gesicht hatte sie einen großen purpurnen Fleck. Sie schlüpfte in das Zimmer und blieb, wo sie war, mit dem Rücken zur Wand. Ihr ganzer Körper drückte deutlich ihren Schmerz, ihre Verwirrung und ihre Angst aus.
Roger
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