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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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schluckte. »Allie, Liebes, ich glaube, wir sollten uns unterhalten. Warum setzt du dich nicht. Wir trinken erst mal alle was Heißes -«
    Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Langsam und gequält machte sie den nächsten Schritt. Kate sah auf ihre Augen. Sie waren leer; völlig leer.
    »Roger.« Sie trat näher zu ihm hin, ihre Stimme war kaum ein Flüstern. »Ich glaube, sie schläft.«
    Roger blickte sie scharf an, dann sah er wieder zu seiner Tochter. Er kniff die Augen zusammen. »Mein Gott. Ich glaube, Sie haben recht! Was tun wir?«
    »Heißt es nicht, daß es gefährlich ist, so jemanden zu wecken?« Kate sandte einen flehenden Blick in Dianas Richtung.
    Es war Patrick, der handelte. »Wenn sie schläft, kann sie uns nicht sehen«, sagte er leise. Er machte einen vorsichtigen Schritt auf seine Schwester zu, und dann, als sie nicht reagierte, noch einen. Er schlüpfte um sie herum und legte ihr von hinten die Hände auf die Schultern. »Komm, Allie, zurück ins Bett.« Sie beachtete ihn nicht. »Allie. Komm schon. Du mußt dich hinlegen -« Er steigerte leicht den Druck und versuchte, sie umzudrehen. Ihr Körper straffte sich. Dann plötzlich befreite sie sich aus seinem Griff, wirbelte herum und versuchte, Patrick einen gewaltigen Schlag zu versetzen, der aber nur seine Schulter streifte, da er ihm auswich.
    »Also gut, Alison, jetzt ist es genug.« Roger bewegte sich mit überraschender Geschwindigkeit. Er packte sie an den Handgelenken und zog sie zu einem Stuhl. »Wach oder nicht, so ein Verhalten gibt es in diesem Hause nicht.« Überrascht tat sie zwei Schritte mit ihm, blieb dann stehen und schüttelte ihn ab. Er taumelte zurück. Er war zwar durch die Krankheit geschwächt, aber er war groß und auch noch ziemlich schwer. Doch seine Tochter hatte ihn so leicht abgeschüttelt, als wäre er nur halb so groß wie sie. Ihre Miene war noch immer leer; aller Ausdruck war völlig aus ihren Gesichtszügen verschwunden.
    »Sie ist wie ein Roboter«, flüsterte Patrick. Er schlüpfte hinüber auf die Seite seines Vaters. »Bist du okay, Dad? Hat sie dich verletzt?«
    Roger schüttelte den Kopf. Sie alle hatten ihre Augen auf Alisons Gesicht gerichtet, das reglos blieb. Kate runzelte die Stirn. Schlief sie wirklich? Oder war es etwas anderes? Das Mädchen blieb mehrere Minuten lang reglos stehen; keiner rührte sich, keiner sagte etwas. Dann sah Kate im Augenwinkel, wie Diana aus dem Zimmer schlüpfte. Gleich darauf kam sie zurück. Sie hatte einen Gürtel aus Leinen in der Hand. Sie sahen alle zu, wie sich Diana auf Zehenspitzen hinter Alison schlich und vorsichtig begann, den Gürtel um sie zu legen, über ihre Arme. Offenbar hatte sie vor, ihr die Arme an den Körper zu fesseln. Alison reagierte nicht. Diana zog vorsichtig den Gürtel enger, gleich über den Ellbogen des Mädchens. »Hol eine Decke, Roger. Wickel sie fest ein«, befahl sie. »Schnell. Bevor sie aufwacht.«
    Alison ging beim Klang ihrer Stimme nach vorn, als werde ihr erst jetzt bewußt, daß sie gefesselt war. Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, und ein Blick ängstlicher Verwirrung blitzte in ihrem Gesicht auf, auf den unmittelbar danach ein wütendes Gebrüll folgte. Sie drehte sich um, schlug mit den Händen um sich und zerriß fast ohne Anstrengung den Gürtel. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck reinster Wut angenommen. Sie wandte sich zum Tisch und streckte die Hand aus. Kate sah zu spät, daß neben dem Brotlaib ein Messer lag; sie sprang hin, aber Alison war zuerst dort, und ihre Hand legte sich vor der von Kate auf den Griff des Brotmessers. Kate packte ihr Handgelenk, und für einen Moment trafen sich über den Tisch hinweg ihre Blicke. Kate hatte ein stechendes Gefühl des Entsetzens; die Augen, die sich in die ihren bohrten, waren nicht die Alisons; sie waren nicht mehr ausdruckslos; sie schliefen nicht mehr; sie waren kalt, berechnend und sehr wütend.
    »Allie -«, keuchte sie. »Bitte.«
    Alison lachte. Ein tiefes, kehliges Lachen. Mühelos verdrehte sie unter Kates Fingern ihren Arm, hob das Messer hoch, drehte sich um und stürzte sich auf ihre Mutter. Sie verfehlte sie und verlor das Gleichgewicht. Patrick nutzte die Gelegenheit und warf sich auf sie. Miteinander ringend fielen sie zu Boden.
    »Paddy -« Dianas Schrei hallte durch den Raum, als die Klinge seinen Unterarm traf und Blut über die Binsenmatte spritzte. Aber er ließ nicht los. Sie kämpften wild weiter. Patrick trat und wand sich, doch Alison gewann langsam, aber

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