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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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ist.«
    Jon schaltete den Anrufbeantworter ab. Er griff zum Telefon und wählte Bills Nummer. Es läutete in der Stille immer weiter. Er wählte erneut œ dieses Mal die Nummer von Bills Cottage. »Komm schon, nimm ab.« Jon trommelte mit den Fingern auf den Knien. Unvermittelt legte er einen Finger auf die Gabel. Er versuchte die Nummer von Redall Cottage. Die Leitung war immer noch tot. Er murmelte ein paar Flüche vor sich hm und wählte die Nummer der Lindseys. Wieder nichts. Er knallte den Hörer auf die Gabel und stand auf. Was zum Teufel ging dort oben vor?
    In der Reisetasche fand er die Flasche Talisker, die er am Flughafen im Dutyfree-Shop mitgenommen hatte. Er machte sie auf und schenkte sich einen Schluck ein.
    Warum zum Teufel machte er sich überhaupt solche Sorgen? Kate war Geschichte. Sie waren nicht miteinander ausgekommen. Die Affäre war zu Ende. Aus und vorbei. Alles kaputt. Es gab nichts mehr, das sich neu entfachen ließ. Sie war nicht mehr an ihm interessiert, egal wie freundlich sie am Telefon gewesen war. Das war nichts als Höflichkeit; typisch Kate, wollte niemandes Gefühle verletzen. Wahrscheinlich würde er sie nie wiedersehen.
    Er trank sein Glas aus und schenkte sich noch eins ein. Draußen vor dem Fenster mit seinem Schleier aus rußigem Tüll wurde es dunkel in den Straßen von London. Es hatte begonnen, gleichmäßig zu regnen. Der Regen war mit Schnee vermischt. Jon setzte sein Glas ab und ging in die Ecke, um die hohe Chromlampe anzumachen. Dann nahm er die Straßenkarte in die Hand.

LV
    HASS ZORN WUT
    tobten in ihrem Kopf. Es gab keine Worte, keine Gestalt; ein Mahlstrom wirbelnden Schmerzes.
    »Mummy!«
    Der Schrei war gedämpft, voller Qual. Ungehört fiel er in die schwarze Stille des Zimmers.
    »Mummy, hilf mir!«
    Sie waren in ihrem Kopf, und sie kämpften miteinander. Er, Marcus, immer der Stärkere, zerrte am Innersten ihres Gehirns, wollte sie, benutzte sie, brauchte ihre Stimme, ihre Arme, ihre Kraft.
    Und sie. Claudia. Sie gab einfach nicht nach. Die Wahrheit mußte ans Licht kommen. Nion. Verraten. Eine Beleidigung der Götter.
    Nion. Nion, Liebe meines Lebens, Gefährte meiner Seele. Sie herausreißen. Sie loswerden. Sich von ihnen befreien. Nägel. Sie mit ihren Nägeln herausreißen. Ihren Kopf aufreißen.
    »MUMMY. HILF MIR!«
    »Bring die Wahrheit ans Licht. Ich will, daß die Wahrheit ans Licht kommt.«
    Das Schreien war lauter geworden, Claudia stärker. »Das Grab ist offen. Es gibt kein Geheimnis mehr. Die
    Menschen von Britannien werden unseren Tod rächen. Der Fall des Römischen Reiches ist nicht Rache genug. Mögen die Götter dich für das, was du getan hast, bis in alle Ewigkeit verfluchen, Marcus Severus Secundus…«
    »Nein, nein, NEIN!«
    Alison fuhr mit einem Ruck hoch, die Hände an den Schläfen. Ihre Nägel waren rot von ihrem eigenen Blut. Sie blickte sich im Zimmer um. Das Licht war nicht mehr an, aber sie konnte alles ganz deutlich sehen. Die Frau stand am Fenster. Ihr blaues Gewand wehte leicht, als stünde sie im Wind, die Füße im weichen Sand der Düne, das Haar trotz der Kämme durcheinander. Sie schien direkt durch die Wand zu blicken, durch das Haus, durch die Dunkelheit und den Schnee.
    Alison kauerte sich an die Wand. Blut. Überall war Blut; auf der Vorderseite des Kleids der Frau, auf dem Boden, auf ihren Laken und œ sie sah plötzlich nach unten, konnte problemlos in der Dunkelheit alles sehen, überall auf ihren Händen.
    Ihr Schrei überdeckte das Geräusch der Stimmen. Sie schrie und schrie, außer Kontrolle, sah sich von der Tür aus selbst zu, sah zu, wie unten die Leute vom Küchentisch aufsprangen, ihre Kerzen nahmen und zur Treppe liefen. Diana war zuerst da. Die Flamme ihrer Kerze zitterte und zog Rauch hinter sich her.
    »Alison. Alison, Liebes! Mein Gott, was ist bloß los mit ihr?« Sie konnte sehen, daß ihre Mutter den Arm um sie gelegt hatte, sah, wie sich ihr Mund bewegte, aber sie spürte nichts. Er war jetzt da, wieder in ihrem Kopf. Er lachte. Warum lachte er? Er lachte über das Blut und den Schmerz. Er lachte über sie: die Frau beim Vorhang. Sie war jetzt nur noch undeutlich zu sehen, ein Schatten aus einer fernen Vergangenheit. Nicht mehr. Verschwand. Bezwungen. Löste sich im Sand auf. Teil der vergessenen Zeit…
    »Pater noster…« Es war Patricks Stimme, bebend, im Schatten. »Libera nos a malo. Ave Maria. Libera nos a malo.« Die Worte gingen in ein qualvolles Schluchzen über.
    »Ihr Gesicht. Mein

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