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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Moment eine eisige Hand auf dem Rücken zu spüren, aber da war nichts, nur die lange Brombeerranke, die ihr den Kopf zerkratzt hatte, als sie gefallen war. Ihre Hand schloß sich im Schlamm, der jetzt verharscht war, weil er zu gefrieren begann. Sie bemerkte, daß sie zitterte.
    »Paddy?«
    Es war nichts mehr zu hören gewesen, seit das Gewehr losgegangen war. Das Entsetzen hatte sie gelähmt. Ein tiefverwurzelter Instinkt hatte ihr gesagt, daß Sichtotstellen ihr einziger Schutz war. Sie wußte nicht, wie lange dieser Zustand angehalten hatte. Sie bewegte leicht die Hand und versuchte, ihr Handgelenk mit der schmalen, goldenen Uhr in Sichtweite zu bringen, ohne den Kopf mehr als ein paar Zentimeter zu heben.
    »Paddy?« Sie versuchte es wieder, diesmal lauter.
    »Hier.« Seine Stimme klang gedämpft, aber er war nicht allzu weit weg.
    »Bist du in Ordnung?«
    »Ich glaube schon. Ich habe das Gewehr verloren. Ich bin hingefallen.« Sie konnte die Tränen in seiner Stimme hören. »Ist er weg?«
    »Ich weiß nicht.« Sie hob den Kopf etwas höher, um besser zu sehen. »Ich glaube schon.«
    »Wo sind Sie?«
    »Hier.« Sie richtete sich auf den Knien vorsichtig auf und wünschte, sie könnte aufhören zu zittern. Ihre Zähne klapperten. »Ich bin hier. Red weiter, und ich versuche, dich zu finden.« Es gab fast kein Tageslicht mehr.
    Irgendwo links von sich hörte sie ein Rascheln. Sie drehte sich schnell um. »Bist du das?«
    »Ja. Ich bin okay. Hier.« Er klammerte sich mehrere Sekunden lang an sie, und sie konnte seinen eiskalten Körper an dem ihren spüren. »Er ist weg«, flüsterte sie. »Ich kann fühlen, daß er nicht mehr da ist.«
    »In welche Richtung gehen wir?« Er ließ sie los, und sie spürte, wie er sich statt dessen an seinem Stolz festhielt, fast als wäre es eine Rüstung, die er wieder anlegte.
    »Wir hätten einen Kompaß mitnehmen sollen.« Sie versuchte, es leicht dahinzusagen. »Allerdings können wir weiter immer bergauf gehen.«
    »Das scheint nicht zu funktionieren.«
    »Paddy, was können wir sonst tun? Wir können nicht die ganze Nacht hierbleiben.« Sie hatte gerade erst bemerkt, daß es wieder schneite. Dieses Mal war es richtiger Schnee, federleicht und erbarmungslos; ein fahles Schimmern zu ihren Füßen zeigte ihr, daß er liegenblieb.
    »Können Sie irgendwelche Gebete?«
    Die Frage überraschte sie. »Na ja, das Vaterunser natürlich, das kann jeder.«
    »Das spricht man doch, um sich gegen das Böse zu schützen, oder? Um ihn fernzuhalten.«
    Kate nahm seine Hand. »Wir könnten es zusammen sprechen, wenn das hilft. Du hast recht. Es soll böse Geister fernhalten. Ich kenne mich nicht so besonders aus mit Gebeten.«
    »Und auch nicht mit bösen Geistern, nehme ich an.« Sein leises Lachen klang gezwungen. »Können Sie es auf lateinisch? Pater Noster oder so. Er spricht bestimmt lateinisch, wenn er ein Römer ist. Wir lernen kein Latein in meiner Schule.« Wieder das gezwungene Lachen. »Ich hätte nie gedacht, daß ich es mal brauchen könnte.«
    Mögen die Götter dich bis in alle Ewigkeit verfluchen, Marcus Severus, und deinen fauligen Körper und deine verdorbene Seele richten für das, was du heute hier getan hast.
    Kate rieb sich mit den Händen das Gesicht. Die Worte waren in ihrem Kopf. Sie kamen nicht von außen. Wenn doch, hätte Paddy sie auch gehört. Und die Worte waren englisch.
    »Ich glaube, er versteht unsere Sprache«, sagte sie vorsichtig. Ihr fiel auf, daß sie beide sicher waren, Marcus gesehen zu haben und nicht irgendeinen Eindringling aus Fleisch und Blut. »Ich glaube, wenn wir mit ihm oder irgendwem sonst kommunizieren, dann geschieht das in unseren Köpfen.«
    »Aber Sie könnten ihm doch auf lateinisch sagen, daß er sich verpissen soll?« Er sagte es so voller Hoffnung, daß sie laut lachen mußte.
    »Ich habe Latein gelernt, wie man es eben so tut in der Hoffnung, dann die Literatur besser verstehen zu können«, sagte sie entschuldigend. »Ich glaube nicht, daß ich je gelernt habe, wie man ‹Verpiß dich¤ sagt.« Sie hielt inne. »Aber das Pater Noster kann ich schon.«
    »Dann sagen Sie es.«
    »Pater Noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum. Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra. Panem nostrum quotidianum da nobis hodie. Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris. Et ne nos inducas in tentationem: sed libera nos a malo…« Sie hielt inne.
    Einen Moment lang herrschte

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