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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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wäre, dann wäre es ein Freund. Joe Farnborough von der Farm, oder Bill Norcross, wenn er sich zu einem Morgenspaziergang entschlossen haben sollte, oder sogar Lady Muck oder jemand, der seinen Hund spazierenführte.
    Ihr Spaten lag noch da, wo er in den Sand gefallen war. Sie tat einen unsicheren Schritt darauf zu. Die Haut in ihrem Nacken prickelte. Es war ein seltsames Gefühl. Sie konnte sich nicht erinnern, so ein Gefühl schon einmal gehabt zu haben, aber instinktiv wußte sie, was es war. Jemand beobachtete sie!
    Die Zeilen eines Gedichts huschten ihr plötzlich durch den Kopf. Ihre Mutter hatte es ihr vor vielen Jahren einmal vorgelesen. Der kleinen, empfänglichen Alison war damals das Blut in den Adern geronnen, als sie es mit weit aufgerissenen Augen hörte, und seine Worte hatten sich ihr eingeprägt. Es war das einzige Gedicht, das sie je gelernt hatte.
    Die Zelte stehn, die Sonne gleicht den Feuerpunkten und es schleicht die Nacht sich an, und der Verdacht, die Dschungeltiere sind erwacht…
    Archaische Angst. Angst vor der Gefahr, die man nicht sehen kann.
    Sie leckte sich nervös die Lippen. »Dumme Kuh«, sagte sie laut zu sich selbst. »Blöde Gans. Beweg dich. Jetzt. Was ist los mit dir?«
    Die Sonne stand mittlerweile höher. Ein roter Fleck breitete sich langsam über dem Meer aus, unmerklich wurde es heller. Sie ballte die Fäuste und machte einen Schritt auf den Spaten zu. Ihr Mund war trocken, und sie zitterte. Vor Kälte. Natürlich vor Kälte. Zähneknirschend sprang sie zurück in die Vertiefung und packte den Spaten, hielt ihn mit beiden Händen vor sich. Der Wind hatte wieder zu blasen begonnen und hob den Schoß ihrer Jacke hoch, bauschte sie auf, peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Der Sand wirbelte um sie herum. Mit der Handfläche rieb sie sich die Augen. Der Sand flog höher, wurde dichter. Fast wie die Gestalt eines menschlichen Wesens.
    Langsam wich sie von der Düne zurück, kletterte aus der Grube und begann, sich auf das Cottage zuzubewegen. Sekunden später fing sie an zu rennen. Sie stürmte über das Gras, seitlich am Gebäude vorbei, warf den Spaten in den Schuppen und stürzte den Weg hinunter, auf die Bäume zu.
    In der Düne lag vergessen das rotlackierte Tonstück, bereits von neuem mit Sand bedeckt.

VIII
    Kate lag für einen Augenblick orientierungslos im Bett, starrte zu den schweren Balken der Decke hoch und fragte sich, wo sie war. Ihr Traum war so lebendig gewesen, so bedrohlich. Unter der Bettdecke zusammengerollt, versuchte sie, sich daran zu erinnern, was so beängstigend gewesen war, aber es fiel ihr bereits schwer, sich die Einzelheiten des Traums wachzurufen. Schließlich gab sie den Versuch auf und sah sich, nachdem sie sich aufgesetzt hatte, in dem ungewohnten Zimmer um. Es war eiskalt. Ein merkwürdig diffuses graues Licht sickerte zwischen den offenen Vorhängen herein. Es war unheimlich; leuchtend. Sie wickelte die Steppdecke fest um ihren Körper, kletterte aus dem Bett und ging zum nach Osten zeigenden Fenster, um hinauszusehen. Das Meer, auf das der Nebel seine Schatten warf, war grauschwarz. Darüber hing wie ein blutroter Ball die tiefe Sonne, die kein Spiegelbild warf und nur wenig Licht abgab. Es bot sich das Bild eines kalten, ganz und gar nicht verführerischen Ortes ohne Perspektive. Zitternd wandte sie sich ab. Nachdem sie ihre Kleidungsstücke zusammengerafft hatte, lief sie auf eiskalten Füßen die Treppe hinunter und schaute in das Wohnzimmer. Dort waren die Vorhänge noch zugezogen. Sie zog sie zurück, öffnete die Türen des Holzofens und starrte bedrückt hinein. Das Feuer war aus, das Metall kalt.
    »Ich werd‘ verrückt!« Sie sah hinunter auf den einen Scheit. Die Papierflamme der vergangenen Nacht hatte ihn kaum angesengt. Um ihn anzuzünden, würde sie Feueranzünder, Zweige und viel mehr Papier benötigen…
    Kein heißes Wasser also. Zitternd gab sie es fürs erste auf, sich waschen zu wollen, und zog ein Paar Jeans an, dicke Socken und einen warmen Pullover, bereit, erneut im Holzschuppen herumzuwühlen.
    Die Welt draußen war bitterkalt. Der Garten œ nicht mehr als ein Stück ungepflegten Rasens mit ein paar kleinen, nackten Blumenbeeten œ schien das Cottage mit einem kompakten Kreis zu umgeben. Jenseits davon, im kalten Licht des frühen Morgens, wuchs das Gras wilder, in Klumpen und verfilzt, bevor es reichlich abrupt den Dünen und dem Kieselufer Platz machte, das direkt an das Meer grenzte.
    Als sie aus der Haustür

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